Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
Dienstwagen und fährt davon. Es ist kalt in Deutschland. Ich habe nur das, was ich am Leib trage, meine gesamte Ausrüstung und auch mein persönlicher Kram ist in Afghanistan geblieben. Ein Sanitäter legt mir eine graue Bundeswehrdecke über die Schultern, damit ich mich im T-Shirt nicht noch erkälte. Die Presseleute, die sich an der etwa 200 Meter entfernten Absperrung drängen, dokumentieren mithilfe riesiger Teleobjektive unseren Umstieg in den Rettungshubschrauber. In den Nachrichten wird es so aussehen, als stünden sie direkt neben uns.
VERSEHRT DAHEIM
Im Bundeswehrkrankenhaus werden wir sehr freundlich aufgenommen. Es kommen alle möglichen Leute, die ich gar nicht richtig zuzuordnen weiß, und bieten mir ein Gespräch an. Militär- und Zivilgeistliche, Sozialdienstmitarbeiter und der Spieß des Bundeswehrkrankenhauses geben sich die Klinke in die Hand und überschlagen sich vor Hilfsbereitschaft. Ich weiß allerdings nicht, was ich mit ihnen reden sollte. Die OP meiner Trommelfelle vier Tage später verläuft ohne Komplikationen. Da allen durch die enorme Druckwelle bei der Explosion die Trommelfelle buchstäblich zerfetzt wurden, will man durch eine Tympanoplastik unser Hörvermögen, das momentan nur über die Knochenleitung des Schädels möglich ist, wiederherstellen. Eine hauchdünne Knorpelschicht wird aus der Ohrmuschel abgehobelt und an der Stelle, an der nur noch ein paar zackelige Fetzen an die Trommelfelle erinnern, implantiert.
Wenige Tage nach der Operation bekommen wir Besuch. Ein Mitarbeiter des MAD befragt mich nach dem, was sich vor der Explosion auf dem Sprengplatz zugetragen hat. Ich mache meine Aussage und er erinnert mich unnötigerweise an meine Verschwiegenheitspflicht gegenüber Dritten. Er sagt mir, dass ich auf keinen Fall mit den Reportern reden dürfe, die vor dem Krankenhaus auf uns lauern. Einer habe sich sogar als Soldat verkleidet und versucht, so an uns heranzukommen. Per Unterschrift verpflichte ich mich, mit niemandem über den Vorfall in Afghanistan zu reden. Ich bin noch so benommen und durcheinander, dass ich wahrscheinlich alles unterschrieben hätte. Später, als es vor Gericht um die Aufklärung dieses Vorfalls ging, hat man uns von dieser Schweigepflicht entbunden. Damals hieß es, man wolle uns vor der Presse schützen. Dass das nicht uneigennützig geschah, war mir klar, aber ich hielt es für meine Pflicht, den Anweisungen Folge zu leisten.
Am Tag der Trauerfeier für die bei der Explosion getöteten Soldaten stattet uns unser Einsatzkommandeur, General von Butler, der die Toten bei der Überführung begleitet, einen Krankenbesuch ab. Er gibt mir die Antworten, die ich brauche, um verstehen zu können, was genau geschehen ist. Er erklärt mir auch, dass es sich bei der Explosion genau genommen um eine Deflagration gehandelt hat, einen explosionsartigen Verbrennungsvorgang des Sprengstoffs im Gefechtskopf der Rakete, was auch erklärt, weshalb ich noch am Leben bin. Dass durch ihn nicht auch noch die gesamte Treibladung in der Grube und das PETN ausgelöst wurden, grenzt an ein Wunder. Überhaupt wird mir nach und nach klar, was für ein unglaubliches Glück ich hatte. Alle, die dichter als ich an der Rakete standen, sind getötet worden, und alle anderen Verwundeten standen viel weiter vom Zentrum der Explosion entfernt.
Die nächsten Wochen verbringe ich, abgeschirmt von der Presse, im Bundeswehrkrankenhaus. Währenddessen vertreibe ich mir die Zeit mit Lancer in der Cafeteria oder in der Raucherecke. Unsere Infusionsständer nehmen wir kurzerhand mit. Für die Leute im Aufenthaltsraum scheinen wir ein ungewöhnlicher Anblick zu sein. Oft ertappen wir sie dabei, wie sie uns irritiert anstarren. Ich nehme an, dass unsere Flügelhemden und dicken Wattepolster auf den Ohren ihre Aufmerksamkeit auf uns ziehen. Darauf, dass wir mit unseren Unterhaltungen den ganzen Raum beschallen, komme ich gar nicht. Da wir immer noch über die Knochenleitung hören, sprechen wir, ohne es selbst zu bemerken, doppelt so laut wie gewöhnlich. Die Wochen ziehen sich – zurück in der Heimat, dennoch fern von zu Hause – wie Kaugummi in die Länge. Ich bin mit Lancer, Kunz und Neuring, der aus der Intensivstation entlassen werden konnte, in einem Zimmer untergebracht. Als hätten wir uns dazu verabredet, versuchen wir uns gegenseitig mit Späßen aufzumuntern und lassen das Thema Sprengplatz komplett außen vor. Unser Kamerad Mesner kämpft derweil noch um sein Leben. Seine
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