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Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück

Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück

Titel: Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Sedlatzek-Müller
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nicht aus der Richtung seiner Lippen an mein Ohr. »Mula, du verblutest! Du verblutest ja!«, immer wieder. Verzweifelt kniet Milano neben mir und tastet mich überall ab. Anscheinend findet er eine Kopfverletzung. Ich registriere das alles nur, völlig unfähig zu einer Reaktion. Hektisch will Milano ein Verbandpäckchen aufschneiden. Die scharfe Klinge seines Messers schnellt hervor. Wie in Zeitlupe sehe ich die Messerspitze knapp an meinen Augen vorbeisausen. Für einen kurzen Moment bin ich wieder hellwach. Das kann nicht mein Blut sein, denke ich, dann müsste ich irgendetwas fühlen, aber ich habe keine Schmerzen. Mir wird schlagartig klar, dass es das Blut der anderen sein muss. Das Blut der Soldaten, die direkt an der Rakete standen. Ich packe Milanos Arm mit eisernem Griff am Handgelenk und schreie: »Hör auf, hör auf, hör auf, hör auf! Das ist nicht mein Blut! Das ist nicht mein Blut!« Milano sieht mich verständnislos an. Er ruft jemanden heran und verschwindet aus meinem Sichtfeld. Nun erscheint darin das Gesicht eines Mannes, der deutlich älter aussieht. Er scheint ein Däne zu sein, aber seine Worte dringen auf Englisch zu mir durch: »You want Morphium?« Wenn er mich das fragt, dann wird er es wohl für nötig halten, denke ich. »Yes«, gebe ich ihm zur Antwort. Ich spüre nichts von der Autoinjektionsspritze, die er mir durch den Hosenstoff ins Bein rammt, aber die Wirkung tritt rasch ein. Eine wohlige Wärme hüllt mich ein und gelassene Ruhe tritt an die Stelle von Sorge. Verwundert bemerke ich, dass ich mich nicht mehr wie zuvor neben dem Fahrzeug befinde. Ich muss für einen Moment eingenickt sein. Ein Soldat in deutscher Flecktarnuniform beugt sich zu mir hinab und sagt mit beunruhigter Stimme zu mir: »Alles wird gut, alles wird gut, gucken Sie einfach nach oben. Nur nach oben in den Himmel. Alles wird gut, nur nicht woanders hinschauen!« Dann ist er wieder weg.
    Ich blicke geradeaus in den Himmel. Er ist perfekt blau. Völlig wolkenlos und perfekt blau. Man hat mich gefunden, ich werde versorgt, mir kann nichts mehr passieren, denke ich. Selbst wenn ich gelähmt bleiben sollte – ich werde überleben. Ich habe keinerlei Vorstellung davon, wie lange ich bereits in den Himmel blicke. Es scheint nichts weiter zu geschehen, trotzdem bemerke ich die Hektik, die mich irgendwie umgibt. Sie beunruhigt mich und ich wende meinen Blick nach rechts. Ein Mann liegt neben mir. Unsere Blicke treffen sich. Seine Augen sind klar und halten meinen Blick fest. Etwas ragt aus seinem Mund heraus. Es wird ein Tubus sein. Zwei Männer knien zu seiner rechten Seite und sind mit schnellen Handgriffen am Werk. Mir wird bewusst, dass ich mich an einer im Wüstensand eingerichteten Verwundetensammelstelle befinde. Mein Blick wandert am Körper des Nebenmannes herab. Da, wo die Hüfte beginnen sollte, endet er. Stattdessen sind links von seinem Bauch als eine undefinierbare Masse seine Gedärme hervorgequollen. Ich will nicht hinsehen, aber es dauert unendlich lange, bis ich wieder geradeaus in den Himmel starren kann. Ich will das nicht sehen, ich will nicht hinsehen müssen. Trotzdem wende ich meinen Kopf erneut in seine Richtung. Sein Blick ist flehend. Die vom Tubus verzerrten Worte sind kaum zu verstehen. »Mama, Mama«, höre ich unentwegt. Ich blicke dem Mann in die Augen. Um sie herum ist sein Gesicht schwarz und bis zur Unkenntlichkeit verkohlt. Es gelingt mir nicht, das alles zuzuordnen, und bin wie in Trance einfach nur verwundert von dem, was um mich herum geschieht. Trotzdem wende ich meinen Blick von dem Mann ab, als man ihm mehrere Spritzen gibt. Irgendetwas in mir sagt, dass ich den Mann jetzt nicht sterben sehen will.
    Auf einmal kümmert man sich wieder um mich. Der Deutsche ist wieder da. Erneut sagt er zu mir: »Alles wird gut!« Ganz vorsichtig heben mehrere Leute mich gleichzeitig an. Ich höre aus ihren Gesprächen heraus, dass sie bei mir eine Wirbelsäulenverletzung vermuten. Abwesend registriere ich, dass eine Vakuummatratze unter meinen Körper geschoben wird und man mich abtransportiert. Die zur Fixation konzipierte Matratze schließt meine untere Körperhälfte fest ein und gibt mir das Gefühl, gut geschützt zu sein. Ich dämmere weg und werde erst durch heftiges Gerüttel und ein Holpern geweckt. Anhand der Ausstattung erkenne ich, dass ich mich in einem Sanitätskraftwagen befinde. Die resolute Stimme eines älteren Mannes mit hagerem Gesicht ertönt neben mir: »Not so fast! I

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