Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
Kambodscha mit ähnlichen Situationen konfrontiert wurde, und sagt mir, dass ich nach dem, was ich ihm über meine Wesensveränderungen seit der Raketenexplosion berichte, alle Anzeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) habe. Dass dies eine anerkannte Erkrankung ist, wird mir erst bewusst, als er mir noch sagt, dass er das in seinen Bericht für die Wehrbereichsverwaltung aufnehmen wird.
Trotzdem weiß ich nach dieser Diagnose erst einmal nichts mit dem Begriff anzufangen. Belastungsstörung hört sich nicht besonders alarmierend an, es klingt etwa so wie »Ermüdungsbruch«. Mich wundert überhaupt nicht, dass ich nach dem, was ich erlebt habe, schlecht schlafe. In jedem zweiten Kriegsfilm wird dargestellt, wie Veteranen aus dem Schlaf hochschrecken. Der Oberfeldarzt bestätigt mir, dass es bei solch einem traumatisierenden Erlebnis normal sei, unter Albträumen zu leiden. Ich solle dennoch, oder gerade deshalb, weiterhin den Dienst bei meinen Kameraden in der Truppe versehen, das sei sehr wichtig. Vermutlich will der Arzt keine Pferde scheu machen. Jedenfalls erklärt er mir nicht, welche Auswirkungen eine posttraumatische Belastungsstörung langfristig haben kann, daher bin ich mir der Tragweite dieser Diagnose nicht bewusst. Momentan stieße er damit bei mir ohnehin auf taube Ohren. Seit ich begriffen habe, wie viel Glück ich hatte, die Explosion zu überleben, bin ich in einer Art Rauschzustand. Ich bin voller Euphorie und will einfach nur spüren, dass ich am Leben bin. Der PTBS-Befund interessiert mich daher jetzt nicht besonders. Mein Tinnitus beeinflusst und beunruhigt mich wesentlich direkter. Der Gedanke daran, nie wieder eine Minute der Stille zu erleben, erscheint mir viel schrecklicher als eine posttraumatische Belastungsstörung.
Dazu kommt, dass mein Gehör seit der Tympanoplastik nicht mehr so funktioniert wie zuvor und ich mich nur mühsam mit der veränderten Wahrnehmung arrangiere. Ein Gespräch mit Umweltgeräuschen, etwa in einem Café, ist mir einfach nicht möglich. Selektives Hören müsse ich neu erlernen, sagen mir die Fachärzte, es könne allerdings auch sein, dass es sich nicht mehr ausgleiche. Aber mit der Zeit würde ich lernen, vieles von den Lippen abzulesen, beschwichtigt man mich in Koblenz. Kunz, der vor dem Einsatz eine private Unfallversicherung abgeschlossen hat, bekommt von der Versicherung eine Ausgleichszahlung. Aus Kulanz, wie die Versicherung betont. Da jede Versicherung eine »Kriegsklausel« enthält, sind alle Schäden, die jemanden in einer Kriegs- oder Krisenregion ereilen, von der Leistung ausgeschlossen. Zu meinem Erstaunen wird Kunz sogar pro Ohr eine Entschädigung in der vollen Höhe von 25 Prozent Minderung der Erwerbsfähigkeit anerkannt. Bei der Wehrbereichsverwaltung wird dagegen nur ein Gesamtwert errechnet. Aus 25 Prozent Einschränkung pro Ohr wird kurzerhand eine gesamte Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 Prozent. Das finde ich zwar kurios, aber Oberfeldarzt Pellnitz erklärt mir, dass da andere Bewertungsmaßstäbe gelten. Was die Versicherung Kunz allerdings nicht sagte und worauf auch ich von keinem Versicherungsmakler hingewiesen wurde, ist, dass der Staat einspringen muss – vorausgesetzt, es existiert ein Versicherungsschutz bei irgendeinem Anbieter.
Weil ich vor meinem Einsatz von diesen Winkelzügen nichts wusste, habe ich weder eine Unfall- noch eine Lebensversicherung abgeschlossen. Von mehreren Versicherungsmaklern, mit denen ich vor dem Einsatz sprach, hieß es außerdem, ein Versicherungsschutz würde durch die Kriegsklausel nicht wirksam – es gebe keine Leistung, wenn der Versicherungsfall sich in einer Kriegsregion ereigne. Das hat mich damals nicht weiter verwundert, da mich schon niemand gegen die Risiken bei einem militärischen Fallschirmsprung versichern wollte. Dass die Springerzulage von 180 DM, eine Risikozulage, dazu gedacht ist, mich abzusichern, ist ein schwacher Trost, denn wenn mir tatsächlich etwas passiert, kann ich allenfalls auf den Rahmenvertrag der Bundeswehr hoffen, den der Bundeswehrverband anbietet. Ich verlasse mich dabei auf die Aussage meines Spießes, der allerdings auch meint, dass man bereits durch den Dienstherrn und die Mitgliedschaft im Bundeswehrverband gut abgesichert sei. Das mag für Berufssoldaten zutreffen, für die übrigen Soldaten hat das nur bedingt seine Richtigkeit.
Ich bin ohnehin der Meinung, dass die Beratung intern und individuell erfolgen müsste. Stattdessen
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