Soldner
nicht zu zeigen.
Dar trottete den ganzen Tag lang hinter ihrer Einheit her und holte sie in der Abenddämmerung endlich ein. Die Frauen hatten das Abendessen längst ausgegeben und spülten schon.
Neena erspähte Dar zuerst. »Dar! Wo ist Loral?«
»Auf dem Dunklen Pfad.«
»Und ihr Kind?«
»Es ist bei mir.« Die Frauen eilten zu ihr, und Dar holte Frey heraus.
»Wie schade, dass es ein Mädchen ist«, sagte Taren. »Die Bauern nehmen wahrscheinlich lieber Jungen.«
»Wir könnten es bei uns behalten«, sagte Kari.
»Wer soll es denn stillen?«, sagte Taren. »Selbst wenn wir es könnten – das hier ist doch kein Ort für ein Kind.«
Neena streichelte sanft Freys Hand. »Wie klein sie ist.«
»Ja, das ist sie«, sagte Taren. »Und hilflos. Geh zum Murdanten und sag ihm, dass Dar mit einem Säugling zurückgekehrt ist.«
Als Dar den Säugling auf ihren Armen anschaute, überkam sie eine große Melancholie. Die Ungerechtigkeit, die Lorals Leben bestimmt hatte, ging nun auch auf ihr Kind über. »Es ist so ungerecht«, sagte sie leise.
Eine Hand berührte ihre Schulter. »Ist das ihr Kind?«, fragte eine Stimme.
Dar fuhr verdutzt herum.
Murdant Kol schaute das Kind an. »Sie ähnelt ihrer Mutter. «
16
ALS MURDANT KOL das Lager bei Tagesanbruch verließ, trieb er sein Pferd mit den Sporen zu einem Galopp an. Erst als er einen Hügel überquert hatte und außer Sichtweite war, ließ er sein Ross langsamer traben. Die stramme Gangart hatte das Kind auf seinen Armen beunruhigt, weswegen es nun, obwohl das Pferd langsamer geworden war, noch immer klagte.
»Schschttt!«, machte Kol. Sein Laut hätte jedoch auf Soldaten mehr Eindruck gemacht als auf ein Neugeborenes. Das Kind gehorchte ihm nicht.
Wer ein Kind im Arm hielt, musste sein Pferd mit einer Hand zügeln. Doch Kol war ein erfahrener Reiter; bei ihm sah es mühelos aus. Bald durchritt er vertrautes Gelände. Das Heidekraut machte grünen Hügeln Platz, auf denen Schafe weideten. Die Wollhändler unterhielten an dem Fluss namens Lurven eine kleine, von Mauern umgebene Stadt. Der Lurven teilte das Tal. Die Straße führte zu der einzigen Brücke, einem Steinbogen, etwa eineinhalb Kilometer von der Stadt entfernt. Als Murdant Kol ihn erreichte, war es noch immer früh am Morgen.
Der Regen hatte den Fluss anschwellen lassen. Dunkles Wasser strömte rasch unter den Dunstfetzen dahin. Kol ließ sein Pferd auf der Mitte des Brückenbogens anhalten. In der Ferne nahm der Dunst nun eine goldene Färbung an. Es war ein friedlicher Anblick. Kol hob die inzwischen eingedöste Frey hoch, um ihr die Aussicht zu zeigen. Der Säugling war leicht auf seiner Hand, und er warf ihn ohne Anstrengung in einem hohen Bogen über das Brückengeländer. Ein kurzer Schrei ging dem Aufklatschen voraus. Dann war alles still. Die Decke, in die das Kind gewickelt gewesen war, trieb an die Oberfläche des schwarzen Gewässers. Die Strömung nahm sie mit.
Murdant Kol wendete sein Pferd in Richtung Stadt und freute sich auf ein ordentliches Frühstück.
Noch bevor Kol die Stadt erreicht hatte, befanden sich die Frauen schon wieder auf dem Marsch. »Dar«, fragte Kari, »was hast du den ganzen Morgen im Zelt gemacht?«
»Mich gewaschen.«
»Wofür denn?«
»Sie hat sich ein paar orkische Angewohnheiten zugelegt«, sagte Taren mit einem Anflug von Widerwillen. »Zuerst die schwarzen Zähne. Und jetzt badet sie auch noch.«
»Glaubst du, dass Murdant Kol ein Zuhause für Frey findet? «, fragte Dar, um das Thema zu wechseln.
»Vielleicht«, sagte Taren. »Aber Waisenkinder haben ein schweres Leben.«
»Es wird weniger hart sein als das Leben ihrer Mutter«, sagte Dar.
»Ja«, sagte Taren. »Dafür haben die Männer gesorgt.«
Als Dar weiterlief, kämpfte ihre Trauer um Lorals Tod mit ihrer Besorgnis um Frey und der Furcht, die mit Murdant Kols
erneutem Auftauchen über sie gekommen war. Seine plötzliche Rückkehr war ein Schock gewesen, auch wenn sie ihn erwartet hatte. Ihr erneutes Zusammentreffen hatte eigenartig amtlich gewirkt – eher wie die Begegnung eines Murdanten mit einer Untergebenen statt der eines Mannes mit seiner Frau. Kol hatte Dar zwar kurz über Freys Geburt und Lorals Tod befragt, doch dann war er mehr daran interessiert gewesen zu erfahren, wie sie in den Besitz des Schwertes gekommen war. Frey schien ihm nicht viel zu bedeuten. Er hatte das Schwert am Abend an sich genommen und den Säugling erst am Morgen, beim ersten Tageslicht.
Der klare
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