Soldner
Visionen.«
Twea schaute sich um. »Wo sind sie denn? Ich sehe gar keine.«
Dar lächelte. »Nur wenige empfangen sie.«
»Hast du je eine empfangen?«
»Noch nie.«
»Vielleicht empfange ich eine.« Twea stierte angestrengt vor sich hin.
»Mit den Augen allein wird es nicht gehen«, sagte Dar. »Was empfindest du?«
»Kälte«, erwiderte Twea. »Mehr nicht.«
Dar legte einen Arm um sie. Obwohl es windstill und warm war, fröstelte das Mädchen.
»Siehst du irgendwas?«, fragte Twea.
Dar schaute sich auf dem vom Mond beschienenen Gelände um. Die tiefen Stimmen betender Orks trugen noch mehr zu dem Gefühl bei, dass sie sich auf heiligem Boden befanden. Sie warf einen Blick auf Twea, die noch immer mit großen Augen in die Finsternis blickte. Sie spürt es auch. Die Vorstellungen von Visionen kamen ihr nicht mehr an den Haaren herbeigezogen vor.
Dar erspähte Bewegungen. Zuerst wirkten sie wie ein aus dem Flussbett aufsteigender Dunst. Dann verdichtete sich der Dunst zu der sich nähernden Gestalt Tweas. Sie war nackt, und ein Wind, den man nicht spürte, ließ ihr Haar wehen. Als sie näher kam, konnte Dar durch ihr blasses Fleisch sehen.
Sie war ergriffen, aber auch bis ins Mark erschüttert. Sie spürte, dass die feste Alltagswelt aufgebrochen war, damit sie einen kurzen Blick auf etwas werfen konnte, das zu bedeutungsvoll und gefährlich war, als dass sie es übersehen durfte. Es ist Tweas Geist! Sie geht über den Dunklen Pfad! Als Dar den Anblick nicht mehr ertragen konnte, kniff sie die Augen fest zusammen. Als sie sie wieder öffnete, war die Gestalt weg. Dar merkte plötzlich, dass Twea ihren Arm schüttelte. »Warum hast du gerade so geschaut, Dar? Was ist denn los?«
»Nichts.«
»Du hast so traurig ausgesehen«, sagte Twea. »Was hast du denn gesehen?«
»Nichts«, sagte Dar und zog Twea fest an sich. »Es war nichts.«
28
DIE VISION quälte Dar immerzu. Manchmal hielt sie sie für eine Warnung, dass sie Tweas Tod verhindern sollte. Dann wieder befürchtete sie, sie sage das Unausweichliche voraus. Wie dem auch war: Sobald sie und Twea voneinander getrennt waren, hatte Dar Angst um das Mädchen.
Murdant Kol hatte es bemerkt, denn er hielt immer nach Möglichkeiten Ausschau, Dar zu verletzen. Er wagte zwar nicht, ihr direkt etwas anzutun, doch in Dars Zuneigung zu Twea sah er eine Verletzlichkeit, die man nutzen konnte.
Jeden Morgen sandte man die Frauen aus, um einem Wagen zu folgen, den sie mit Brennholz füllen mussten. Da die nähere Umgebung schon reichlich abgeholzt war, fuhren sie inzwischen so weit, dass sie den größten Teil eines Tages brauchten. Da Kol dies wusste, befahl er Murdant Teeg, Twea zum Brennholzsammeln einzuteilen. Sobald Twea weg war, machte Dar sich schon Sorgen.
Gegen Mittag war sie überzeugt, sie werde das Mädchen nie wiedersehen, doch Twea überraschte sie mit einer frühen Rückkehr. Sie war glänzender Laune. »Das glaubst du nicht,
Dar!«, sagte sie und huschte an Dars Seite. »Ich bin auf einem Pferd geritten!«
Dars Erleichterung verwandelte sich in Beunruhigung. »Auf wessen Pferd?«
Tweas Lächeln schwand. »Er ist nett. Er sagt, er kennt dich. Er heißt Sevren.«
»Ich kenne keinen Sevren.«
»Er gehört zur Garde des Königs. Er hat rote Haare.«
»Der? Hat er dir was getan?«
»Er hat mich nur mal reiten lassen. Warum bist du denn so wütend?«
»Ich bin nicht wütend auf dich«, sagte Dar. »Aber ich vertraue keinem Söldner.«
»Er ist kein Söldner«, sagte Twea. »Er ist Gardist.«
»Das ist doch das Gleiche.«
»Das ist es auf keinen Fall«, sagte eine Männerstimme.
Dar fuhr herum. Sevren kam auf sie zu. »Du!«, sagte sie und musterte ihn argwöhnisch. »Was machst du denn hier?«
»Ich wollte nur wissen, ob Twea sicher angekommen ist«, erwiderte Sevren.
»Sie steht unter dem Schutz eines Orks. Da kann sie auf deinen Schutz verzichten.«
»Dann sollte dieser Ork wachsamer sein. Twea dürfte nicht außerhalb des Lagers herumlaufen.«
»Allein?«, sagte Dar.
»Der Wagen war zu schnell«, sagte Twea. »Da konnte ich nicht mithalten.«
»Twea«, sagte Dar. »Ich muss mit Sevren sprechen. Geh doch mal zu Taren und frage sie, welche Arbeit noch erledigt werden muss.« Sie wartete, bis Twea gegangen war, dann wandte sie sich wieder Sevren zu. »Und was hast du da draußen gemacht?«
Sevren sah das Misstrauen in ihrem Gesicht und beschloss, offen zu sein. »Ich habe nach ihr Ausschau gehalten.«
»Und warum?«
»Ich dachte,
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