Soldner
Menschenknochen waren altersgelb und mit geschnitzten Runen bedeckt. Othar studierte die Muster, die sie bildeten. Das Zeichen für »Gefahr und Bedrohung« fiel ihm sofort ins Auge. Schatten dieses Zeichens berührten die Knochen für »König« und »Magier«. Othar empfand Beunruhigung.
Die Sonne ging schon fast auf, als er das schwarze Zelt verließ. Seine Haut hatte die fahle Farbe des Todes, und seine Augen waren rot umrandet. Die Knochen waren zwar leise Boten und schwierig zu deuten, doch in einer Hinsicht waren sie klar: Es gab in diesem Heerlager einen Feind. Stunden des Studiums hatten seine Identität zwar nicht enthüllt, doch Othar hatte etwas fast ebenso Nützliches erfahren: Wenn die Orks starben, würde auch sein Feind verschwinden.
32
DAR WAR NACKT. Sie stolperte durch die Dunkelheit und fiel zu Boden. Als sie dort lag, ohne sich bewegen zu können, hüllten Blätter sie wie ein dünner Mantel ein. Sie bedeckten sie, und doch konnte Dar wie durch einen Schleier hindurchschauen: Sie sah die schattenhafte Gestalt des Magiers. Er schaute vor sich hin und hielt einen langen Dolch in der Hand. Die Klinge leuchtete, war zum tödlichen Stoß bereit. Er suchte sie.
Ein kalter Wind zerrte an den Blättern, drohte sie fortfliegen zu lassen und Dar zu enthüllen. Dar schaute sich um und hielt nach der Kraft Ausschau, die den Wind erzeugte. Zuerst glaubte sie, es sei eine schwarze Wolke. Dann erkannte sie, dass es etwas anderes war – eine Präsenz, die Licht und Wärme auslöschte und Bosheit ausstrahlte. Dar spürte, dass die Präsenz sie preisgeben wollte, doch ein hoher Baum hielt sie im Zaum. Muth’la, dachte Dar. Dann wachte sie auf.
Es war kurz vor Sonnenaufgang. Sie lag angezogen auf dem Boden von Kovok-mahs Quartier. Sie fröstelte. Der Magier spukte in ihren Gedanken herum. Dar hätte ihr Erlebnis gern als Albtraum abgetan, doch sie spürte, dass es etwas anderes
war. Eine Vision? Eine Warnung? Sie wusste es nicht genau. Dennoch hatte sie das Gefühl, dass es wichtig war, dem Zauberer aus dem Weg zu gehen. Den Grund verstand sie nicht, doch die Stärke ihres Gefühls machte sie nicht geneigt, es anzuzweifeln. Bisher hatte die Intuition zu ihrem Überleben beigetragen. Sie wollte ihren Empfindungen lieber glauben.
Sevren traf Dar und Twea am Rand des königlichen Lagers, als sie zum Küchenzelt unterwegs waren. »Ich habe mit Davot gesprochen«, sagte er leise. »Ihr arbeitet nicht mehr in der Küche. Ihr sollt Kräuter sammeln gehen. Schaut euch dort um, wo wir spazieren waren, unten am Fluss. Da treffen wir uns.«
Er schlenderte weiter, als seien sie sich rein zufällig begegnet. Dar und Twea meldeten sich bei Davot, der ihnen zwei große Körbe gab. In einen Korb griff er hinein und entnahm ihm ein paar verwelkte Kräuter. Dar sah wilden Thymian, Majoran, Kresse und sich kräuselnde Knoblauchschalen. Sie entdeckte auch einige Kräuter, die sie nicht kannte. »Das hier brauchen wir alles in frischem Zustand«, sagte Davot. »Füllt dir Körbe …« Er zwinkerte ihnen zu. »… auch dann, wenn ihr den ganzen Tag dazu braucht.«
Bald schlenderten Dar und Twea allein am Flussufer entlang. Als man sie vom Heerlager nicht mehr sah, tauchte Sevren auf und sprach Twea an. »Halt! Sind das die Kräuter für den König, die du da bei dir hast?«
»Jawoll«, sagte Twea und grinste.
»Dann muss ich sie bewachen«, sagte Sevren. »Denn ich bin ein königlicher Gardist.«
»Und was ist mit den Kräuterträgerinnen?«, fragte Dar und nahm Sevrens verspielt ironischen Ton auf.
Sevren kniete sich vor Twea hin. »Ich werde dich mit meinem Leben verteidigen, mein Fräulein. Und auch deine Mutter.
« Er schaute zu Dar auf. »Denn so nennt man dich bei den Orks.«
»Mir scheint, du bist auch noch ein Spion des Königs«, sagte Dar.
»Ich bediene mich nur der Mittel, die Karm jedem ehrlichen Menschen schenkt: meiner Augen und Ohren.«
»Und deiner flinke Zunge«, sagte Dar.
Sevren schaute Twea an, als sei er verletzt. »Ich muss schon sagen, mein Fräulein, deine Mutter ist dir in Sachen Höflichkeit gewiss kein Vorbild.«
»Ach, beachte sie gar nicht«, sagte Twea. »Sie traut nämlich keinen Männern.«
»Dann ist sie klug«, sagte Sevren. Er stand auf und lugte in Dars Korb. »Ich verstehe nicht viel von Kräutern. Ich fürchte, ich kann euch nur ein jämmerlicher Führer sein.«
»Dann kannst du die Körbe tragen«, sagte Dar.
»Täte ich das, wäre ich ein noch jämmerlicherer Gardist,
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