Soldner
traue ihm nur nicht. Vielleicht sehe ich die Sache aber anders, wenn ich ihn erst besser kenne.«
Die Antwort stellte Twea offenbar zufrieden, auch wenn sie ihrer Frage ausgewichen war. Twea ließ das Thema fallen, doch als Dar die Hühner schlachtete und rupfte, dachte sie weiter über die Frage des Mädchens nach. Ihr wurde bewusst, dass sie die Menschen allmählich aus einer neuen Perspektive sah. Die Menschen waren Washavoki, während sie selbst im Begriff war, etwas anderes zu werden.
31
DAR UND TWEA rupften bis zum frühen Vormittag Hühner. Danach putzten sie Gemüse und spülten Töpfe. Währenddessen füllte sich das Zelt mit leckeren Düften. Dar hatte in den letzten Wochen eigentlich fast nur von Grütze gelebt, und so wurden die Gerüche fast zur einer Qual für sie. Im Laufe des Tages wurden immer mehr Gänge des königlichen Festmahls zubereitet. Neben Brot, gebratenem Fleisch, gegrillten Hühnern und gedünstetem Gemüse gab es auch Gerichte, die Dar noch nie gesehen, geschweige denn gekostet hatte; und doch sah alles köstlich aus.
Davot verbrachte den größten Teil des Tages in der Angst, das Essen könne nicht rechtzeitig fertig werden. Als alles zubereitet war, folgte ein kurzer Zeitabschnitt, in dem er sich beruhigte. Später machte er sich dann Sorgen über die Ankunft des Königs. Er schickte einen Mann mit scharfen Augen zur Straße, der ihn warnen sollte, sobald der Tross des Königs in Sicht kam.
Es wurde Abend. Man stellte Fackelträger auf, um das Bankettzelt zu erleuchten. Die Soßen wurden warm gehalten, bis sie anbrannten. Neue Soßen wurden gekocht, weggekippt
und noch einmal zubereitet. Fliegen summten über der sich unter der Last biegenden Tafel. Bald wimmelte das sich abkühlende Fleisch von ihnen. Twea schlief in einer Ecke des Küchenzeltes ein. Schließlich, als die Nacht weit fortgeschritten war, kam Davot zu Dar. »Weck die Kleine auf, ihr könnt gehen. Der König kommt nicht mehr.«
»Was wird aus dem Essen?«, fragte Dar.
»Rühr es nicht an. Das Festmahl des Königs ist noch nicht abgesagt, auch dann nicht, wenn nur Maden an ihm teilnehmen. «
»Soll das heißen, es wird weggeworfen?«
»Ja, so ist Seine Hoheit eben. Wer ohne seine Erlaubnis tafelt, wird ausgepeitscht. Morgen kochen wir ein neues Festmahl. «
Dar weckte Twea. Sie kehrten ungewaschen und erschöpft zu Kovok-mahs Quartier zurück. Wie zuvor hatte er auch diesmal auf sie gewartet. »Ruh dich aus, Vögelchen.«
Als Twea müde auf seinen Schoß kletterte, sagte er auf Orkisch zu Dar: »Ich rieche Zna-yats Blut.«
»Es klebt an mir«, erwiderte Dar in der gleichen Sprache.
»Das habe ich gehört.«
»Was hat es zu bedeuten?«, fragte Dar.
»Du hast zugestimmt, ihn nicht zu töten.«
Dar lachte trotz ihrer Erschöpfung. »Ihn töten – ich?«
»Hai«, sagte Kovok-mah. »Auch kein anderer kann ihn für dich töten.«
»Habe ich etwas Unkluges getan?«, fragte Dar.
»Das Blut eines anderen zu tragen bedeutet, dass zwischen euch Ehre herrscht. Solange man es riechen kann, wird nicht getötet.«
»Und was passiert dann?«
»Das kann niemand sagen, nicht mal Zna-yat. Blutzeit ist
Denkzeit. Zna-yat wusste nicht genau, worin Klugheit liegt. Deswegen hat er sein Blut angeboten.«
Da Dar wusste, dass Kovok-mah sich nie anmaßen würde, einer Mutter Ratschläge zu erteilen, fragte sie: »Wenn du das Blut eines anderen tragen würdest, was würdest du dann tun?«
»Ich würde mein Gesicht nicht waschen.«
In prächtigen Kleidern, auf einem schönen Pferd und in der Gesellschaft von Gardisten kam König Kregant II. am folgenden Nachmittag in sein Heerlager geritten. Dar hörte zwar den Lärm bei seiner Ankunft, war aber zu beschäftigt, um ihm viel Aufmerksamkeit zu schenken. Die Aktivitäten im Küchenzelt waren von Hektik geprägt. Das unberührte Festmahl vom gestrigen Tag war zusammen mit dem im Voraus gebackenem Brot in den Fluss geworfen worden. Das Ergebnis bestand darin, dass man heute mehr zubereiten musste als gestern, doch weniger Zeit hatte. Drei weitere Frauen mussten rekrutiert werden. Sie arbeiteten mit Twea und Dar zusammen, und alle waren den ganzen Tag beschäftigt.
Als der Abend kam, erschienen Diener in blauen Livreen und trugen auf. Die Männer, die das Kochen besorgt hatten, überließen das Aufräumen und Saubermachen den Frauen. Dar kannte keine der Frauen, denn sie gehörten einer anderen Einheit an, doch ihr Ruf sorgte dafür, dass auch sie ihr aus dem Wege
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