Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition)
oder später kommen sie doch darauf, dass hier der Ort ist, der dich am meisten mit Professor Doignac verbindet.“
„Die Gefahr besteht, aber hast du eine bessere Idee?“
„Ich glaube, ich könnte einen Weg finden, dich unbemerkt in meine Wohnung zu bringen“, entgegnete sie, „aber da wir hier noch nach Spuren suchen wollen, sollten wir das vorerst verschieben. Unter einer Bedingung: Ich werde hier bleiben.“
„Das solltest du nicht tun“, Gallea sah besorgt aus, „wenn sie mich hier finden, bleibst du immer noch unbehelligt und kannst nach Sasha suchen. Vielleicht sogar nach weiteren Spuren hier, wenn erst einmal einige Tage vergangen sind.“
„Darüber werde ich nicht verhandeln. Ich habe keine Lust, morgen früh wieder zu einem Treffen zu gehen und nur die Sec-Teams zu finden. Wir können den Abend damit verbringen, nach Spuren zu suchen, morgen früh, wenn alles ruhig bleibt, fahre ich dann zurück in Innenstadt und versuche jemanden mit dem Namen Sasha Bréa im Register zu finden.“
„Ich will nicht leugnen, dass mir etwas Gesellschaft an diesem Abend gut tut“, entgegnete Gallea und stand auf. „Aber hier ist meine Bedingung: Ich koche uns jetzt etwas zu essen. Und du siehst dir die Räume im Erdgeschoss an, vielleicht erinnerst du dich an etwas.“
Sequana sah ihm nach, als er durch den großen Raum ging und eine breite Tür öffnete, hinter der eine kleine Küche war. Er schaltete ein schwaches Licht an und öffnete probeweise einige Schränke.
„Ja, ich glaube, das wird was“, verkündete er zufrieden und klapperte mit einer Pfanne.
Sie überkam der Anflug eines Lächelns, als sie aus dem Sessel aufstand und zur großen Verandatür hinüber ging. Draußen wippte das Wrack eines Schaukelstuhls im Wind. Sie erinnerte sich daran, als Kind in diesem Stuhl gesessen zu haben. An einem Sommerabend, in eine dünne Decke gewickelt. Grillen zirpten in der Dämmerung und füllten die Umgebung mit Leben. Sie war nicht alleine im Schaukelstuhl, Sasha saß neben ihr. Jetzt erkannte sie auch ihr Gesicht.
„Wo bist du?“, murmelte Sequana halblaut.
„Hier, neben dir“, entgegnete Sasha im Schaukelstuhl. Sequana spürte den Wind in ihren Haaren und die letzten Strahlen der Sonne auf ihrer Haut.
„Nein, das bist du nicht. Du warst einmal hier, neben mir. Aber wo bist du jetzt?“
„Ich suche nach ihm“, sagte Sasha und hielt eine Hand hoch. Sie blinzelte durch den Spalt zwischen ihren Fingern in das Abendlicht. „Und das solltest du auch machen. Wir haben ihn schon immer gesucht, weißt du nicht mehr?“
„Nein“, erwiderte Sequana bedauernd, „das weiß ich nicht mehr. Nach wem suchen wir?“
Sie erhielt keine Antwort mehr, als die Erinnerung verblasste. Sie hatte auffallend lebendig gewirkt, als hätte sich ein Fenster zu einer früheren Zeit geöffnet, und Sequana hätte den Kopf hindurch gesteckt. Sie fragte sich, was sie mit diesen Erinnerungen anfangen sollte. Natürlich war es ein erklärbarer Prozess. Sie hatte Informationen erhalten um gegen die Verdrängung ihrer Vergangenheit anzukämpfen, und dann war sie an den Ort ihrer Kindheit gelangt, der noch weit genug erhalten war, um Erinnerungen zu wecken. Doch darauf ließ sich keine Recherche aufbauen. Es war eher wie ein Tagtraum, der keine ausreichend sicheren Fakten lieferte.
Andererseits waren durch die Zeit und die Gegenwart manipulierte Erinnerungen vielleicht das einzige, was sie imstande war aus diesem Haus mitzunehmen. Sie konnte es sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht erlauben, wählerisch zu sein. Also versuchte sie, noch weitere Erinnerungsfetzen hervor zu locken, doch gelingen wollte es ihr nicht mehr, bis Gallea das Essen auftischte.
35 | SANGRE
Der letzte Vorhang war gefallen. Isaak wusste das in dem Moment, als sein Handy vibrierte und ihn so auf die Breaking News aufmerksam machte. Der Damm bei Skagen war gebrochen. Die NATO-Flotten vor Gibraltar vernichtet. Jede Verbindung zum Nahen Osten war abgebrochen. Die Menschheit hatte an drei Fronten verloren. Mindestens. Und es sollten nicht die letzten bleiben. Seine Twitter-Timeline explodierte förmlich. #sangre war bereits seit einigen Tagen permanenter trending topic, doch jetzt überschlugen sich die Meldungen, vor allem aus den Ländern mit den letzten verbliebenen intakten Küstenregionen.
Isaak wusste, dass es die letzten Stunden seiner Timeline waren. Die letzten Stunden des gesamten Netzes. Die letzten Stunden überregionaler Kommunikation. Die Welt
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