Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition)
konnten.“
„Willst du damit sagen...?“, Ninive riss die Augen auf und vergaß ihre eigene Situation für einen Moment.
„Ich bin Isaak Aaronsson, #I-1, ungefragt erster menschlicher Träger der Sangre-Energie.“ Er drehte sich ihr wieder zu, und das Licht der Schreibtischlampe zeichnete unscharfe Schatten auf seine blasse Haut.
„Dann müsstest du mindestens hundert sein!“, entgegnete Ninive ungläubig.
„131 Jahre alt, wenn man es genau nimmt. Allerdings habe ich davon fast einhundert Jahre im Kälteschlaf verbracht. Nicht gerade freiwillig.“
„Ich weiß nicht, ob ich das alles verarbeiten kann“, entgegnete Ninive und rieb sich die Schläfen.
„Willst du vorher etwas schlafen?“, fragte Isaak mit einer Geste in Richtung seines Betts.
„Nein, ich will vorher wissen, was das mit mir zu tun hat. Vorher werde ich an Schlaf nicht denken können.“
„Also gut“, Isaak zog sich einen Stuhl heran und setzte sich so, dass er die ''Unterarme auf die Rückenlehne stützen konnte. „Ich war ein ganz normaler Junge ... junger Mann, bis ich das mit der Energie entdeckte. Ich war nicht gerade ein unkomplizierter Mensch, fürchte ich, und daher hatte ich nur wenige Menschen, denen ich vertraute. Eine davon war Nina, die ich bereits seit meiner Kindheit kannte. Wir sind in der selben Wohnanlage in München aufgewachsen, haben uns dort fast jeden Tag getroffen. Irgendwann bin ich ausgezogen und nach Amerika gegangen. Ich dachte, ich könnte dort in der Ferne etwas finden, das ich vorher immer vermisst hatte. Ich weiß nicht, was es war. Glück, Heimat, eine Bestimmung ... es spielt auch keine Rolle mehr. Was immer es war, ich habe es nicht gefunden und bin Jahre später, ich war fast dreißig, zurückgekehrt zu meiner Mutter in die Wohnanlage. Das war zu Beginn eines Sommers, der so viel verändert hat...
Jedenfalls war Nina zu der Zeit ebenfalls zurück. Ihre Mutter war schwer krank und lag im Sterben, und sie war wegen ihres Vaters zurückgekommen und wohnte für einige Wochen bei ihm. Ich traf sie wieder und alles war wie früher ... Entschuldige, Ninive, diese Details werden dich nicht so sehr interessieren. Alles was für die weitere Geschichte wichtig ist, lässt sich so zusammenfassen: Wir verliebten uns und verbrachten trotz des Todes ihrer Mutter den Sommer zusammen. An dessen Ende – es muss auch etwa zu dieser Jahreszeit gewesen sein – beschlossen wir, zusammen wegzufahren. Wir reisten ans Meer, an die Nordsee. Und zu der Zeit brach die Sangre-Energie hervor. Ich hatte mein ganzes Leben immer wieder bemerkt, dass Kleinigkeiten um mich herum sich sonderbar verhielten. Es geschahen viele Dinge, die ich mir nicht erklären konnte. Ich konnte bestimmte Ereignisse sehen, bevor sie geschahen, behauptete Sachen, die ich nicht wissen konnte, aber die danach eintrafen. Es waren keine großen Ereignisse, nur Alltagsbegebenheiten, aber es passierte mit zunehmendem Alter immer öfter.
Ich kann kaum erklären, was in der ersten Nacht passierte, als wir am Meer waren, oder warum gerade in diesem Moment. Aber offenbar trug ich diese Energie in mir und sie brach nun hervor. Aber sie brach nicht nur aus mir hervor sondern auch aus der Natur. In den Jahren zuvor hatten große Naturkatastrophen überall auf der Welt zugenommen, doch von diesem Tag an bekamen sie eine neue Qualität. Ich sah vor meinem inneren Auge Springfluten, Vulkanausbrüche, Erdbeben und Stürme, und sie geschahen. Und gleichzeitig spürte ich, dass ich mit großer Kraftanstrengung in der Lage war, die Energien um mich herum zu beeinflussen.
Gegen Ninas Rat – die wohl die einzige Person war, die zumindest den Willen hatte, mir zu glauben – ging ich nach Hamburg und meldete mich bei der Katastrophenbekämpfung. Ich hatte das Gefühl, dass ich etwas tun musste. Doch niemand glaubte mir und stattdessen steckte man mich in eine Irrenanstalt. Als ich aber sah, dass eine gewaltige Springflut auf Hamburg zurollte, brach ich aus der Anstalt aus und wollte mich mit Nina treffen, um sie zu warnen und mit ihr irgendwohin zu gehen, wo es sicherer schien. Doch ich kam zu spät. Sie wartete in einem entlegeneren Teil des Hafens auf mich, und ich sah sie, als ich über einen hohen Sicherheitszaun kletterte um zu ihr zu gelangen. Doch die Flutwelle war schneller. Sie erfasste sie und riss sie mit sich. Ich selbst konnte mich durch die Kontrolle, die ich über die Energie hatte oben auf dem Zaun noch retten.
Am Ende hatte sich die Welt in wenigen
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