Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition)
haben diese nicht bekommen, auch Ninive nicht.“
„Nein“, entgegnete Sequana, „uns hat man die Pumpen implantiert, die die Neurohemmer dosieren.“
„Wirklich?“, Bruchot legte die Stirn in Falten. „Dann hat Cédric sie nie darüber aufgeklärt?“
„Worüber?“
„Diese Pumpen sind eine Attrappe. Sie pumpen eine Ersatzlösung ohne Wirkung. Sie haben nie Neurohemmer bekommen. Es war nicht notwendig.“
„Was?!“, rief Sequana und ließ überrascht die Ruder los, die sie angesichts Bruchots Alter übernommen hatte. Das Boot drehte sich langsam in der Strömung des Flusses.
„Entschuldigen Sie, Mademoiselle“, Bruchot schien aufrichtig überrascht, „hätte ich gewusst, dass Cédric Sie im Unklaren gelassen hat, wäre ich etwas behutsamer mit dieser Information umgegangen.“
„Schon gut, schon gut“, Sequana hob beschwichtigend die Hände, „zurück zu Sasha.“
„Die anderen beiden haben die echten Pillen bekommen, auch wenn ich Cédric bei Sasha abgeraten habe. Sie war Ihnen sehr ähnlich, Sequana, sie hätte das Leben auch ohne Neurohemmer in den Griff bekommen. Wenn auch nicht so gut wie Sie oder Ninive.“
„Ich habe witzigerweise nicht das Gefühl, mein Leben im Griff zu haben“, entgegnete Sequana sarkastisch.
„Doch die Langzeitwirkung haben wir beide unterschätzt“, fuhr Bruchot fort, ohne auf ihren letzten Kommentar einzugehen. „Die Neuropillen sorgten nach ein paar Jahren dafür, dass sich ihre Wirkung ins Gegenteil umkehrte. Die beiden fingen an, instinkthaft zu handeln, fast animalische Wesenszüge zu entwickeln. Und gleichzeitig wurden ihre Sangre-Fähigkeiten stärker und stärker, die Kontrolle darüber jedoch immer geringer. Irgendwann war es so extrem, dass wir handeln mussten. Meine Tochter Claudette hatte zu der Zeit mit Cédric an einem Implantat gearbeitet, dass die Reizleiter, die für die Konzentration des Sangres zuständig waren, vom Rest des Nervensystems isolierte.“
„Ein Weg um Klone zu normalen Menschen zu machen?“, Sequana griff wieder nach den Rudern und brachte das kleine Boot, das nahe ans Ufer getrieben war, wieder zurück auf den Fluss.
„Ja und nein. Einerseits entfernten wir damit die Wirkung des Sangre, andererseits waren nur die Sender abgeschaltet. Die Rezeptoren im Gehirn nahmen weiter an, dass das Sangre vorhanden war, aber sich vorübergehend nicht mehr meldet.“
„So eine Art Phantomschmerz fürs Gehirn?“
„Richtig. Wir haben damit gerechnet, dass sich das Gehirn eine ganze Weile darauf einstellen muss, bevor es diesen neuen Zustand akzeptiert.“
„Und hat es funktioniert?“
„Nicht so schnell“, entgegnete Bruchot. „Wir fingen mit Cygne an. Sein Sangre war weniger stark ausgebildet als das von Sasha, er war der unkompliziertere Fall. Die Operation verlief problemlos und wir beobachteten ihn einige Tage, bevor wir Sasha ebenfalls operieren wollten. Doch etwas lief schief. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber ich vermute, Cygne hat mit Sasha geredet. Als Cédric und Claudette die Operation beginnen wollten und die Narkose bei Sasha eingeleitet hatten, nutzte sie anscheinend ihre Fähigkeiten, um wach zu bleiben. Sie stellte sich bewusstlos, und als wir dachten, wir könnten beginnen, wehrten sich ihre Instinkte.“
„Was geschah dann?“
„Ich weiß es nicht, ich war nicht anwesend, und Cédric erinnert sich nicht mehr genau. Aber Sasha hatte ihre mittlerweile enormen Sangre-Kräfte eingesetzt, das Labor, in dem sie operiert werden sollte, verwüstet und Claudette und Cédric angegriffen. Während die Ärzte um Cédric kämpften und meine Claudette den Kampf um ihr Leben aufgegeben hatte, habe ich nach ihr gefahndet, doch sie ist zusammen mit Cygne aus dem Labor entkommen und seitdem vermisst.“
„Und Sie haben keine Spur mehr von ihr? Oder von Cygne?“, erkundigte sich Sequana von der Geschichte nicht restlos befriedigt.
„Nein. Es gab vor Jahren eine junge Frau namens Anna Sekova, die immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten war. Ich hatte den Verdacht, dass sie in Wahrheit Sasha Bréa war, doch zu einem Treffen mit ihr kam es nicht mehr. Sie war wegen kleinerer Delikte im Stadtgefängnis, als dieses vom Schwarzen Turm – dieser Terrorbewegung – angegriffen wurde. Das war vor ein paar Jahren, vielleicht erinnern Sie sich daran? Jedenfalls sind viele Gefangene entkommen und verschwunden, unter ihnen Anna Sekova. Sofern sie wirklich Sasha war, bezweifele ich, dass sie noch in Paris
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