Soljanka (German Edition)
verschwunden.«
Stamm stand auf und ging zur Garderobe, wo er seine Laptoptasche
hingestellt hatte. Er öffnete sie und holte ein Blatt Papier heraus, das er vor
Corinna Metzger auf den Tisch legte.
»Kennst du die Frau?«, fragte er.
Sie zuckte die Schultern. »Das könnte jede zweite Frau sein, die ich
kenne. Wer ist es?«
»Ich vermute, das sollst du sein«, sagte Stamm. »Vor sechzehn
Jahren.«
»Sieht aus wie ein Phantombild«, sagte Corinna Metzger.
»Es ist ein Phantombild, erstellt nach der Beschreibung einer Kellnerin
in der Kneipe Woyaya in Bilk. Sagt dir das was?«
»Woyaya …«, sagte Corinna Metzger versonnen. »Kommt mir bekannt vor.
Ja genau, ich glaube, so hieß die Kneipe, in der ich mich das letzte Mal mit
van Wateren getroffen habe. Aber wieso gibt es davon ein Phantombild?«
»Das war das letzte Mal, dass van Wateren lebend gesehen wurde. Die
Kellnerin hat dich als sehr ernste Erscheinung mit einem eigenwilligen Blick
beschrieben. Was der Zeichner aber irgendwie nicht rübergebracht hat. Im
Nachhinein ist mir klar, worauf die Beobachtung der Kellnerin beruhte. Sie hat
sich durch deine verschiedenfarbigen Augen irritieren lassen.«
Corinna Metzger studierte das Bild neugierig. »Kein Wunder, dass
mich niemand erkannt hat«, sagte sie. »Aber ehrlich gesagt, habe ich damals gar
nicht mitgekriegt, dass nach mir gesucht wurde.«
»Hättest du dich denn bei der Polizei gemeldet?«, fragte Stamm.
»Warum nicht? Ich wollte doch auch wissen, was mit van Wateren
passiert ist.«
»Was vermutest du denn?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung.«
»Was hat van Wateren denn so erzählt? Immerhin habt ihr einige
Stunden zusammen verbracht?«
»Nichts. Ich habe ihn auch nicht gefragt. Wie gesagt, ich wollte
erst langsam sein Vertrauen gewinnen. Ich war auf einem guten Weg. Er fing zu
flirten an, aber sehr zaghaft, er wusste wohl auch nicht so ganz, was er davon
halten sollte, dass ich plötzlich in Düsseldorf war.«
»Hattest du gar keine Angst? Ich meine, du musstest doch davon
ausgehen, dass der Mann ein Vergewaltiger ist.«
»Er hätte es ja mal versuchen können«, sagte Corinna Metzger
lakonisch. »Ich glaube, er hatte ein wenig Angst vor mir. Oder vor meinem
Vater. Noch ein Grund, behutsam vorzugehen.«
»Dein Vater ist ein gutes Stichwort«, sagte Stamm. »Van Wateren
hatte doch sicherlich noch Kontakt nach Waren. Du musstest doch davon ausgehen,
dass er deinem Vater erzählt, dass du hier bist.«
»Ich bin sogar sicher, dass er es getan hat.«
Stamm sah sie fasziniert an. »Hat dir das keine Angst gemacht?«
»Warum sollte es?«
»Na ja, wenn ich mir anschaue, wie skrupellos er das Seelenheil
deiner Schwester ignoriert hat, um ein Geschäft zu Ende zu bringen. Ich meine,
er musste doch davon ausgehen, dass es für ihn ungemütlich wird, wenn du hier
tatsächlich etwas herausfindest.«
Corinna Metzger blickte eine ganze Weile versonnen ins Leere. »Ein
interessanter Punkt, wenn du ihn so ansprichst«, sagte sie schließlich. »Ich
versuche mich gerade in die Zeit damals zurückzuversetzen. Aber es bleibt
dabei: Ich hatte keine Angst. Ich war sicher, und bin es heute noch, dass mein
Vater nichts unternommen hätte, was mir geschadet hätte. Ich kann es nicht
erklären. Mein Vater war ein Verbrecher, und er ist es bis heute geblieben.
Daran kann ich nicht vorbeisehen. Ich habe ihn gehasst deswegen, vor allem
natürlich wegen Rico. Trotzdem konnte ich mir nie vorstellen, dass er mir ein
Haar krümmt. Ich fand’s im Gegenteil gar nicht schlecht, wenn ich mir
vorstellte, wie dieses miese Arschloch ihn in heller Aufregung anrief. Der Witz
ist ja, dass mein Vater wahrscheinlich sogar in gewisser Weise stolz auf mich
war.«
»Stolz?«
»Ich habe für meine neue Identität einen gefälschten Personalausweis
benutzt, den mein Vater für den Fall der Fälle, dass wir uns mal absetzen
müssen, hatte erstellen lassen. Ich hätte für so was doch gar keine Möglichkeit
gehabt. Ich hab mich an seinem Safe bedient. Ich bin sicher, dass ihm das
irgendwie gefallen hat.«
»Na gut«, sagte Stamm, »aber trotzdem muss die Situation hier in
Düsseldorf für deinen Vater beunruhigend gewesen sein. Wir wissen ja nicht
genau, was er alles zu verbergen hatte, aber gehen wir einfach mal davon aus,
dass es einiges war. Dein Kontakt zu van Wateren muss doch für ihn wie eine
tickende Zeitbombe gewesen sein.«
Corinna Metzger nickte. »Davon kann man ausgehen.«
»Ja, aber daraus kann man doch nur
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