Soljanka (German Edition)
einen Schluss ziehen«, rief
Stamm. »Wenn dein Vater das Gefühl hatte, es braut sich etwas über ihm
zusammen, er aber dir wiederum kein Haar krümmen wollte, was ergibt sich
daraus? Er musste van Wateren ausschalten.«
Es blieb lange still am Tisch. Stamm, Wanja und Eva sahen verstohlen
Corinna Metzger an, die ihr Wodka-Glas anstarrte. Bis sie es zum Mund führte
und austrank.
NEUNZEHN
In Wanjas nigelnagelneuem Touareg brauchten sie keine drei
Stunden bis Hamburg. Es taute, die Fahrbahn der A 1 war leicht feucht,
weshalb Wanja bei hundertneunzig vom Gas ging und den Tempomat einschaltete.
Die meisten Laster hielten sich an das im Norden fast durchgängig herrschende
Überholverbot, sodass Wanja bis auf eine kurze Baustellenstockung bei
Wildeshausen fast ungehindert durchrauschen konnte.
Stamm fühlte sich auf dem ungewohnten Rücksitz unwohl und versuchte
zu schlafen. Doch jedes Mal, wenn er ein wenig wegdämmerte, weckte ihn umgehend
das nicht enden wollende Gekicher von vorn. Weil ihr auf dem Rücksitz
unweigerlich übel werden würde, hatten sie Eva den Beifahrersitz überlassen.
Wanja, der alte Schwerenöter, unterhielt sie prächtig. Wenn Stamm die Augen
aufschlug, fiel sein Blick auf Corinna Metzger, die neben ihm saß und fast
während der ganzen Fahrt geistesabwesend zum Fenster hinausstarrte.
Am Rastplatz Hamburg-Stillhorn hielten sie für ein frühes
Mittagessen, und danach wurde es ruhiger. Wanja überließ Corinna das Steuer und
setzte sich neben Stamm, worauf sein Flirt-Esprit mangels Partnerin versiegte.
Vielleicht war er auch einfach nur müde, denn schon kurz nachdem Corinna in
Hamburg-Ost auf die A 24 abgefahren war, schnarchte er leise. Stamm
war’s recht, er schloss auch die Augen, döste ein und wachte synchron mit Wanja
erst nach einem plötzlichen Bremsmanöver in Lübz wieder auf. Der Schnee war in
den letzten Tagen auch in Mecklenburg weitgehend geschmolzen, in einigen Mulden
hielten sich noch weiße Flecken, ansonsten waren die Äcker und Wiesen grünbraun
und klitschnass.
Um drei Uhr waren sie in Waren und checkten in der Goldenen Kugel
ein. Während Wanja und Eva sich zu einem Spaziergang und der Suche nach einem
gemütlichen Café aufmachten, fuhren Corinna Metzger und Stamm gleich weiter zur
psychosomatischen Fachklinik. Corinna Metzger wirkte nervös und war
entsprechend einsilbig, was Stamm mit höflichem Schweigen respektierte.
Als ihnen Dr. Silvia Terlinden, zu der sie nach wenigen Minuten
vorgelassen wurden, eröffnete, dass Angela nicht mehr da war, meinte Stamm,
hinter Corinna Metzgers Verwunderung auch eine gewisse Erleichterung zu
erkennen.
»Herr Bach hat sie gestern abgeholt«, sagte Dr. Terlinden,
Corinnas Frage zuvorkommend.
»Was heißt abgeholt?«, fragte Corinna.
»Nun, was soll das heißen?«, fragte die Ärztin kühl zurück. »Ihr
Zustand hatte sich stabilisiert. Es gab keinen Grund, sie weiter
hierzubehalten. Die Krankenkasse …«
Corinna ließ sich nicht abwimmeln. »Was meinen Sie mit
›stabilisiert‹? Auf dem Niveau der letzten Wochen?«
»Soweit ich weiß, haben Sie Ihre Schwester in den letzten Wochen
doch gar nicht gesehen«, entgegnete Dr. Terlinden spitz. »Sie hatte ihre
milde Krise überwunden. Ihr Zustand war vergleichbar mit dem vor ihrer
Einweisung.«
Corinna setzte an, um den Disput fortzusetzen, aber Stamm kam ihr
zuvor. »Frau Dr. Terlinden, wie ich Ihnen schon vorgestern am Telefon
angedeutet hatte, sind wir hier, weil wir Ihren Rat brauchen. Es gibt wichtige
Neuigkeiten, und wir sind uns im Unklaren, ob, und wenn, wie wir sie Angela
mitteilen sollen. Es hat sich herausgestellt, dass Ulrich Dembski nicht, wie
angenommen, 2000 beim Bergbahnunglück von Kaprun ums Leben gekommen ist. Er ist
vor wenigen Tagen in Düsseldorf aufgetaucht, mit etwas zwielichtigen Absichten.
Es kam dann aber zu einer dramatischen Zuspitzung der Ereignisse. Dembski wurde
schwer verletzt, er liegt im Koma, und wie es aussieht, wird er nicht mehr
daraus erwachen. Einige Rätsel im Zusammenhang mit den alten Ereignissen hier
in Waren wurden geklärt, andere aber nicht. So ist es leider nach wie vor
unklar, was damals mit Angela passiert ist. Immerhin hat es die Entwicklung
Frau Metzger … also Birgit Dembski hier … ermöglicht, ihr Inkognito aufzugeben.
Die Frage ist nun: Ist es klug, Angela etwas darüber zu erzählen?«
Dr. Terlinden brauchte ein paar Sekunden, um ihre Sprache zu
finden. »Uff!«, machte sie schließlich. »Das sind ja mal
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