Soljanka (German Edition)
fest.
»Vor einer Viertelstunde«, bestätigte Dr. Terlinden. »Das nenne
ich eine prompte Reaktion.«
»Nun ja, Ihre Mitteilung klang vielversprechend.«
Sie bemühte sich sofort, seine Erwartungen zu dämpfen. »Um ehrlich
zu sein, bin ich mir nicht sicher, ob ich das Richtige tue. Aus eigenem Antrieb
hätte ich Sie auch nicht kontaktiert. Es war der Wunsch der Patientin, die
Ihren Artikel gelesen hatte. Ich hielt es zunächst nicht für richtig, dass sie
mit Ihnen spricht, aber sie hat sehr hartnäckig insistiert. Da ich letztlich
tatsächlich nicht ausschließen kann, dass sich ein solches Gespräch positiv auf
die Therapie auswirken könnte, habe ich mich schließlich entschlossen, es zu
versuchen. Sie werden aber sicher verstehen, dass diese Angelegenheit mit einem
Höchstmaß an Sensibilität behandelt werden muss. Wenn dieses Gespräch zustande
kommen soll, müssten wir uns vorher verbindlich auf eine bestimmte
Vorgehensweise verständigen. Für eine mögliche Veröffentlichung gilt das
natürlich erst recht.«
»Das ist in einem solchen Fall selbstverständlich«, sagte Stamm.
»Sie können sich vorstellen, dass die Gespräche, die ich für meinen Artikel
geführt habe, unter ähnlichen Bedingungen stattgefunden haben. Ich habe ganz
bestimmt nicht die Absicht, den Betroffenen noch mehr zu schaden. Im
Zweifelsfall würde ich natürlich auch auf eine Veröffentlichung verzichten. In
diesem Zusammenhang stellt sich aber die Frage, inwieweit die Geschichte Ihrer
Patientin sich überhaupt für eine Veröffentlichung eignet. Sie haben ja
gelesen, dass ich das Thema gerade aus Opfersicht sehr umfassend beleuchtet
habe. Um es einmal offen und direkt zu sagen: Eigentlich ist das Thema
abgehandelt, es sei denn, die Geschichte Ihrer Patientin enthält relevante neue
Aspekte.«
»Nun, ich denke schon, dass es die gibt. Nicht so sehr aus
medizinischer Sicht, obwohl es auch da gewisse Unterschiede zu dem Fall zu
geben scheint, den Sie geschildert haben. Aber das soziale Umfeld von Opfer und
Tätern ist hier doch ein deutlich anderes.«
»Der Täter?«, fragte Stamm verblüfft. »Heißt das, die Täter sind
bekannt?«
Ein paar Sekunden war es still in der Leitung. »Ja«, sagte Dr. Terlinden
schließlich. »Ich würde sagen, ja.«
»Was heißt das, Sie würden sagen? Sind sie nun bekannt oder nicht?«
Sie machte dicht. »Hören Sie, am Telefon kann ich Ihnen nicht mehr
sagen. Wenn Sie mehr erfahren wollen, müssten Sie schon herkommen. Von Hamburg
aus brauchen Sie nicht einmal drei Stunden. Wenn aus der Geschichte nichts
wird, lernen Sie immerhin unsere wunderschöne Gegend hier an der Müritz
kennen.«
»Leider sitze ich aber nicht in Hamburg, sondern in Düsseldorf«,
sagte Stamm. Da Dr. Terlinden nichts darauf entgegnete, fuhr er fort: »Nun
gut, um mit Ihrer Patientin zu sprechen, müsste ich ohnehin zu Ihnen kommen.
Ich bespreche die Angelegenheit mit der Chefredaktion und melde mich wieder bei
Ihnen.«
»Tun Sie das«, sagte die Ärztin. »Aber lassen Sie sich nicht zu
lange Zeit, meine Patientin ist voraussichtlich nur noch zehn Tage in der
Klinik.«
DREI
Fast die ganze Fahrt über stoben Schneeflocken vor der
Windschutzscheibe. Immer wieder musste sich Stamm zwingen, sie aus seiner
Wahrnehmung auszublenden. Achtete er zu sehr auf sie, übten die tanzenden
Flocken eine hypnotisch-einschläfernde Wirkung aus. In diesem Zustand fühlte
sich Stamm auf der viel befahrenen A 1 unwohl. Andererseits verhinderte
der dichte Verkehr, dass Schnee auf der Fahrbahn liegen blieb. Er kam langsam
voran.
Zwei mittlere Staus und eine Kaffeepause kurz hinter Bremen führten
dazu, dass er erst gegen zwölf Uhr, nach fünf Stunden Fahrzeit, Hamburg
erreichte. Er hinkte seinem Zeitplan hinterher, aber wenn alles glatt ging,
konnte er es noch bis zu seinem Termin bei Dr. Terlinden um fünfzehn Uhr dreißig
schaffen. Eine Großbaustelle am Kreuz Hamburg-Ost machte einen ersten Strich
durch seine Rechnung. Nach einer Dreiviertelstunde entnervenden Stop-and-gos
konnte er endlich auf die A 24 in Richtung Berlin abbiegen.
Hier ging es besser. Bis zum Dreieck Schwerin machte er Boden gut.
Gelegentlich ließ sich sogar die Sonne für ein paar Minuten blicken. Doch
hinter Schwerin kündigte eine graue Wolkenwand im Osten Ungemach an. Er fuhr in
ein dichtes Schneegestöber hinein. Nach wenigen Minuten war die Fahrbahn weiß.
Zunächst hinterließen die Autos noch schwarze Spuren, dann nur noch die Laster,
schließlich
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