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Soljanka (German Edition)

Soljanka (German Edition)

Titel: Soljanka (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Frost
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walzten auch diese lediglich den Schnee fest. Da er ohnehin nur mit
sechzig vorankam und dabei andauernd von ungeduldigen Truckern in
halsbrecherischen Manövern überholt wurde, verließ Stamm die Autobahn bei
Parchim und richtete sich auf fast hundert Kilometer Landstraße ein – immerhin
dreißig weniger als über die Autobahn.
    Er schlich seinem Ziel mit vierzig entgegen. Kurz vor Plau ging
nichts mehr. Ein Laster hatte sich verbremst, war mit dem Führerhaus in den
Straßengraben gerutscht und hatte sich so quergestellt, dass er die Fahrbahn in
beide Richtungen blockierte. Die Bergung würde Stunden dauern.
    Stamm zündete sich eine Zigarette an und suchte im Atlas nach einer
Ausweichmöglichkeit. Die kürzeste Alternative, eine nach Norden führende
Nebenstraße, deren Abzweigung er kurz zuvor passiert hatte, wagte Stamm nicht
zu nehmen. Er entschied sich, zehn Kilometer bis Lübz zurückzufahren und von
dort aus eine südlich verlaufende Landesstraße zu nehmen. Er zwang sich,
langsam zu fahren. Seinen Termin in Waren würde er ohnehin nicht mehr einhalten
können. Er rief Dr. Terlinden an und kündigte ihr seine Verspätung an. Sie
sagte ihm, dass sie bis gegen achtzehn Uhr in der Klinik sein würde.
    In Lübz fiel es ihm noch schwerer als vorhin, der überall lockenden
Werbung für das heimische Bier zu widerstehen. In der einsetzenden Dunkelheit
kam er noch langsamer voran. Für die siebzig Kilometer bis Waren brauchte er
zweieinhalb Stunden. Um achtzehn Uhr fünf stellte er seinen Peugeot endlich auf
dem Parkplatz der Fachklinik Waren ab.
    Dr. Silvia Terlinden war eine Frau Mitte vierzig mit roter Kurzhaarfrisur.
Weder die Farbe noch der Schnitt waren besonders glücklich gewählt. Beides
betonte ihren runden Kopf und ließ sie korpulenter wirken, als sie war. Sie
erwartete Stamm stehend, über ihrem Schreibtischstuhl lag ein grauer Mantel,
den sie vermutlich hingeworfen hatte, nachdem der Zivildienstleistende an der
Pforte Stamms Besuch angekündigt hatte. Offenbar war sie im Gehen begriffen
gewesen.
    »Tut mir schrecklich leid«, sagte Stamm, »für die letzten hundert
Kilometer habe ich über drei Stunden gebraucht.«
    »Ich hatte ehrlich gesagt gar nicht mehr mit Ihnen gerechnet.« Der
Klang ihrer warmen Stimme brachte die Frau, die vor ihm stand, wieder etwas
mehr in Einklang mit dem Bild, das er sich am Telefon von ihr gemacht hatte.
»Jetzt ist es natürlich schon ziemlich spät.«
    »Ich hatte eigentlich genug Puffer eingebaut, aber so schlimm hatte
ich es mir nicht vorgestellt.«
    »Tja, das ist schon Pech. Sie werden sicherlich verstehen, dass wir
das Gespräch mit der Patientin heute nicht mehr führen können. Ich hoffe, Sie
haben den morgigen Tag auch zur Verfügung.«
    Stamm nickte zögernd. »Ich habe zwar noch kein Hotel gebucht, aber
eigentlich hatte ich zumindest eine Übernachtung schon eingeplant. Allerdings
wollte ich morgen wieder nach Hause fahren.«
    Dr. Terlinden schüttelte den Kopf. Sie ging zu ihrem
Schreibtisch und studierte die Unterlage, die offenbar einen Terminkalender
enthielt.
    »Vor fünfzehn Uhr kann ich leider gar nicht, und ich kann es nicht
verantworten, ein solches Gespräch unter Zeitdruck zu führen. Abgesehen davon,
dass wir es gut vorbereiten müssen.«
    »Hm, das ist wirklich Pech«, sagte Stamm. »Andererseits bin ich im
Moment so ausgehungert, dass ich mich einem Gespräch mit Ihrer Patientin gar
nicht gewachsen fühle. Insofern …« Er lächelte die Ärztin an. »Können Sie mir
vielleicht ein Hotel empfehlen, in dem ich auch einen vernünftigen Bissen zu
essen bekomme?«
    Nach kurzem Überlegen nannte sie ihm zwei Hotels. Stamm dankte ihr
und wollte sich verabschieden. Plötzlich stockte er jedoch und sah sie mit
seinem strahlendsten Lächeln an.
    »Was halten Sie davon, wenn Sie mir beim Essen Gesellschaft leisten?
Ich lade Sie ein. Dabei könnten wir alles Notwendige besprechen, sodass wir
morgen keine Zeit mehr mit der Vorbereitung verlieren.«
    Sie dachte über seinen Vorschlag nach, sah dabei aber so aus, als
überlege sie nur, wie sie ihre Absage möglichst höflich formulieren sollte.
Nach einigen Sekunden veränderte sich ihr Gesichtsausdruck jedoch.
    »Unter einer Bedingung«, sagte sie. »Sie fahren mich in die Stadt
und bringen mich nachher nach Hause.« Sie lächelte entwaffnend. »Ich habe
Angst, bei dem Wetter Auto zu fahren.«
    »Eine sehr gute Idee«, sagte Stamm.
    »Wenn Sie sich in der ›Goldenen Kugel‹ einquartieren, können Sie

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