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Soljanka (German Edition)

Soljanka (German Edition)

Titel: Soljanka (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Frost
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wenn ich es Ihnen erzähle.
Großer Gott, ist diese furchtbare Geschichte denn nie vorbei?«
    Stamm ließ ihr Zeit, zündete sich bedächtig eine Zigarette an. Als
Erika Dembski ihre zu Ende geraucht hatte, lehnte sie sich vor und stützte sich
mit den Ellenbogen auf der Tischkante ab.
    »Angela ist vergewaltigt worden, als sie fünfzehn war.«
    Stamm nickte langsam vor sich hin, als habe er so etwas erwartet.
    »Von wem?«, fragte er.
    »Ein junger Mann aus Waren«, murmelte sie. Stamm konnte sie kaum
verstehen. Er beugte sich vor und versuchte, von ihren Lippen abzulesen. »Es
war der erste Abend, an dem Angela allein ausgehen durfte. Ein Volksfest in
Waren. Sie sollte um elf nach Hause kommen. Als sie um eins noch nicht da war,
hat mein Mann sie gesucht. Er hat sie am Rand einer Kuhweide gefunden. Sie lag
bewusstlos im Stacheldraht, schrecklich zugerichtet. Sie konnte sich an nichts
erinnern, war völlig apathisch. Aber irgendwo in ihrem Inneren muss sie gewusst
haben, dass etwas Furchtbares passiert war.«
    Stamm gab sich keine Mühe, seine Zweifel zu verbergen. »Woher
wussten Sie denn, dass sie von diesem jungen Mann vergewaltigt wurde?«
    »Es gab Ermittlungen. Auch mein Mann hat mit Leuten gesprochen, die
auf dem Fest waren. Man hat gesehen, wie er mit Angela weggegangen ist,
angeblich wollte er sie nach Hause bringen. Er hat die Tat ja schließlich auch
gestanden.«
    »Wie bitte?«, fragte Stamm. »Heißt das, er ist deswegen verurteilt
worden?«
    »So weit kam es nicht. Angelas Zustand war schlimm genug, wir
wollten es ihr ersparen, dass sie das alles noch einmal durchleben muss.«
    »Moment mal!«, rief Stamm. »Wollen Sie damit sagen, dass Sie den
Vergewaltiger Ihrer Tochter einfach so in Ruhe gelassen haben? Entschuldigen
Sie, aber das glaubt Ihnen doch kein Mensch. Vor allem nicht bei dem Ruf, der
Ihrem Mann …« Er unterbrach sich, weil sein Handy klingelte. »Entschuldigen
Sie«, sagte er, während er das Telefon aus seiner Tasche friemelte.
    Als er sah, dass es nicht Eva war, die anrief, drückte er den Anruf
weg. Aus den Augenwinkeln konnte er beobachten, wie die Spannung aus ihrem Körper
wich. Ihre Schultern sackten zusammen, ihr Kinn sank auf die Brust. Es dauerte
eine Weile, bis sie den Blick wieder heben konnte.
    »Ich weiß natürlich, dass über meinen Mann furchtbare Geschichten im
Umlauf waren. Aber glauben Sie mir: Er war nicht das Monster, das die Leute aus
ihm gemacht haben.« Sie machte eine Pause, musste sich anscheinend einen Ruck
geben, um weiterzusprechen. »Aber Sie haben natürlich nicht ganz unrecht. Er
war nicht der Mensch, der so etwas einfach auf sich beruhen lassen konnte. Ich
glaube schon, dass er irgendwas machen wollte, damit dieses Schwein nicht
ungeschoren davonkam.«
    »Irgendwas?«, fragte Stamm.
    »Ich weiß nicht, was. Es spielt auch keine Rolle. Egal, was er
vorhatte, er musste es nicht mehr tun.«
    »Warum nicht?«, fragte Stamm ungeduldig, nachdem er vergeblich auf
eine Fortsetzung gewartet hatte.
    »Rico hat sich ein paar Tage nach seiner Tat das Leben genommen«,
sagte Erika Dembski. »Anscheinend ist ihm bewusst geworden, was er Angela
angetan hatte.«
    Stamm starrte sie ungläubig an. »Na, das ist ja mal praktisch«,
entfuhr es ihm.
    Erika Dembski sah ihn erschrocken an.
    »Entschuldigen Sie«, sagte Stamm. »War wohl nicht sehr passend. Es
ist nur … ich dachte im ersten Moment, das fügt sich so prima zusammen. Täter
schnell gefunden, dann bringt er sich um, Problem gelöst.«
    Erika Dembski sprang auf. Ihr Stuhl kippte fast um. »Wie können Sie
so etwas sagen?«, schrie sie. »Sie haben doch Angela gesehen! Welches Problem
wurde Ihrer Meinung nach so einfach gelöst?«
    »Entschuldigen Sie«, wiederholte Stamm betont ruhig. »So meinte ich
das nicht. Welche tragischen Folgen das alles für Angela hatte, steht ja außer
Zweifel. Aber es drängt sich doch die Frage auf, ob dieser Rico so ganz
freiwillig aus dem Leben geschieden ist. Ich habe ihn ja nicht gekannt, aber
irgendwie fällt es mir schwer zu glauben, dass jemand, der ein fünfzehnjähriges
Mädchen vergewaltigt, so zart besaitet ist, dass er sich gleich danach
umbringt.« Seine Stimme wurde noch sanfter, als er merkte, dass Erika Dembski
sich an der Tischkante festhalten musste, um ihr einsetzendes Zittern in den
Griff zu bekommen. »Frau Dembski, ich sehe Ihnen doch an, dass Sie selbst schon
darüber nachgedacht haben, was da passiert sein mag. Hat Ihr Mann vorher mit
diesem Rico

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