Soljanka (German Edition)
ihr auf dem Rückweg von einem Volksfest aufgelauert. Fest steht, dass er
sich kurze Zeit später das Leben genommen hat. Er hat sich im Nationalpark
erhängt und wohl auch einen Abschiedsbrief hinterlassen, in dem er die Tat
zugegeben hat. Was mir an dieser Story nicht gefällt, ist, dass Ulrich Dembski
den Jungen – er hieß übrigens Rico Fenten – vor seinem Tod in der Mangel hatte.
Sie haben von alldem nie etwas gehört?«
»Wie ich Ihnen schon gesagt habe, ich bin erst später nach Waren
gekommen.«
Stamms Stirn legte sich in Falten. »Okay, das hatten wir ja schon
mal«, sagte er. »Aber es wird dadurch nicht überzeugender. Angela ist seit
zwölf Jahren Ihre Patientin. Entschuldigen Sie, Frau Dr. Terlinden, aber
Sie wollen mir hoffentlich nicht weismachen, dass Sie in dieser ganzen Zeit
niemals über diese Vergewaltigung gestolpert sind. Denn wenn es so wäre, würde
es kein gutes Licht auf Ihre Arbeit werfen.«
»Ich bin Therapeutin, keine Ermittlerin«, schnaubte sie.
»Ach, kommen Sie, ich würde Sie schon bitten, mich nicht für dumm zu
verkaufen.«
Er hörte sie erregt ausatmen. Dann blieb es eine Weile still. Er
dachte schon, sie hätte aufgelegt, als sie sich doch noch zu Wort meldete.
»Na schön«, murmelte sie, »ich habe von dieser angeblichen
Vergewaltigung gehört.«
»Und warum haben Sie mir nichts davon erzählt?«
Sie seufzte. »Ich will ehrlich sein …«
»Das wäre mal was zur Abwechslung.«
»Wollen Sie’s hören oder lieber Dampf ablassen?«, fragte sie.
»Entschuldigen Sie. Ich höre zu.«
»Ich hatte überlegt, ob ich darüber sprechen soll. Aber Sie waren ja
sogar von den satanistischen Implikationen enttäuscht. Ich hatte das Gefühl,
wenn Sie hören, dass es für die Polizei ein in Anführungszeichen einfacher Vergewaltigungsfall
ist, der zudem lange geklärt sein soll, reisen Sie sofort ab.«
»Da dürfte Sie Ihr Gefühl nicht getrogen haben«, sagte Stamm. »Das
macht’s aber nicht besser. Sie konnten doch nicht davon ausgehen, dass die
Sache im Dunkeln bleibt. Immerhin gab es ja Ermittlungen, wenn auch keine
intensiven, weil sich der Fall ja anscheinend so wunderbar geklärt hat. Was
haben wir jetzt gewonnen? Ich habe ein paar Tage Arbeit mehr verschwendet und
schmeiße die Brocken doch hin.«
»Ich möchte Sie bitten, sich das noch einmal zu überlegen«, sagte
die Ärztin sanft. »Ich habe einen Fehler gemacht, aber ich habe Ihnen nichts
Falsches erzählt. Für die Polizei mag die Akte mit dem Selbstmord dieses Jungen
erledigt sein, für mich ist das nur ein Nebenschauplatz. Und das ganz
unabhängig davon, dass mir genaue Details tatsächlich nicht bekannt sind.«
Stamm schürzte die Lippen und strich sich mit den Fingern der linken
Hand über die immer noch zerfurchte Stirn.
»Nun ja«, sagte er schließlich, »ich habe schon auch das Gefühl,
dass die Sache irgendwie stinkt. Die Auflösung ist mir einfach zu glatt. Der
Täter bringt sich um, Deckel drauf und fertig. Würde mich schon interessieren,
welche Rolle Ulrich Dembski dabei gespielt hat. Aber noch mal: Wäre es nicht
doch möglich, dass Angela ihre Störung aufgrund eines solchen Erlebnisses
entwickelt hat?«
Die Psychiaterin ließ sich wieder Zeit mit der Antwort. »Das ist
wirklich sehr schwer zu sagen. Brutale Vergewaltigung, anschließend Abtreibung,
womöglich gegen ihren Willen, vielleicht noch das Gefühl, dass ihre Eltern ihr
nicht richtig beistehen … das ist schon starker Tobak für einen Teenager. Das
ist traumatisch, ohne Zweifel. Aber es erklärt ihren alles in allem doch sehr
präzisen Bericht vom Satanistenritual nicht. Es wäre sicherlich denkbar, dass
sie von irgendwo anders solche satanistischen Schilderungen aufgeschnappt und
sie mit ihren eigenen Erlebnissen vermischt hat. Aber andererseits wüsste ich
im Moment nicht, woher ein solcher Einfluss kommen könnte. Da ist kein
entsprechendes Milieu, ich habe auch nicht den geringsten Hinweis darauf, dass
sie über Bücher oder andere Medien Kenntnis von satanistischen Ritualen
erhalten haben könnte. Ich habe in dieser Richtung natürlich vorsichtig
nachgeforscht, denn die Möglichkeit, dass Patienten Sekundärerfahrungen in ihre
tatsächlichen Erlebnisse einbeziehen, ist immer vorhanden. Insofern würde ich
Angelas Schilderung nach wie vor für wahrscheinlich erachten.«
»Also gut, vielleicht lohnt es sich ja wirklich, am Ball zu bleiben.
Ich stehe ohnehin in Kontakt zur Staatsanwaltschaft in Neubrandenburg. Da
könnte ich
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