Soljanka (German Edition)
auch noch mal nach Meckpomm fahren. Aber ich
habe einen Faden in der Hand, den ich mit etwas Glück sauber aufrollen kann.«
»Na dann los!«, sagte Hanne. »Werner, du bist immer noch an der
Demographieentwicklung im Ruhrgebiet dran?« Meister nickte. »Okay, ich bin in
Sachen Schulpolitik unterwegs. Machen wir uns an die Arbeit! Oder gibt’s noch
was?«
»Eine Sache«, sagte Stamm. »Ich muss heute Mittag ins
Polizeipräsidium. Dieser Mord an dem Privatdetektiv, von dem die Zeitungen
heute berichten.«
»Weshalb interessiert uns der?«
»Ich weiß noch nicht genau«, sagte Stamm ausweichend. »Ich muss noch
mit Hauptkommissar Korn sprechen. Hab da was läuten gehört, dass er irgendeinem
dubiosen Russen auf der Spur war. Wer weiß, vielleicht steckt da ja was drin.«
Hanne zog die Mundwinkel nach unten. »Seh ich zwar im Moment nicht,
aber was soll’s. Kann ja nicht schaden, mit Korn zu sprechen.«
Stamm setzte sich wieder an seinen Schreibtisch, durchforstete noch
einmal gründlich seine Notizen aus Waren und Nordhausen, markierte einige
Stellen mit Leuchtstift. Dann richtete er seinen Arbeitsplatz für eine längere
Telefonsession her, holte sich eine frische Tasse Kaffee und räumte den Tisch
so auf, dass er die Beine bequem drauflegen konnte.
Zuerst rief er Dr. Terlinden in der Warener Fachklinik an. Sie
war im Büro und hatte sogar ein paar Minuten Zeit.
Er sparte sich eine lange Einleitung. »Ich habe mit Angelas Mutter
gesprochen.«
»Oh.« Sie war hörbar überrascht.
»Hatte ich ja gesagt, dass ich probieren würde, sie ausfindig zu
machen. War auch überhaupt kein Problem. Sie steht im Telefonbuch.« Als die
Psychiaterin nichts sagte, fuhr er fort. »Ja, wo soll ich anfangen? Vielleicht
mit einer direkten Frage: Halten Sie es für denkbar, dass sich dieses
Satanisten-Erlebnis nur in Angelas Phantasie abgespielt hat?«
Dr. Terlinden zögerte immer noch ein wenig. Schließlich sagte
sie: »Nach meiner beruflichen Erfahrung wäre das äußerst unwahrscheinlich.
Obwohl es natürlich keine materiellen Beweise dafür gibt. Es ist angesichts der
Ungeheuerlichkeit dieser Vorkommnisse auch nicht allzu verwunderlich, dass die
Mutter die Vorstellung von sich weist.«
»Ist mir klar«, erwiderte Stamm. »Sie klang aber sehr bestimmt. Was
mich ernsthaft irritiert hat, war, dass die Geschichte sie nicht überrascht
hat. Sie meinte, sie kenne sie sehr genau, könne sie sogar Wort für Wort
nacherzählen. Und sie schien mir ehrlich betroffen, dass Angela nach so vielen
Jahren immer noch darin gefangen ist.«
Dr. Terlinden ließ sich wieder Zeit mit der Antwort. »Sehen
Sie«, begann sie vorsichtig, »es ist in solchen Fällen sehr schwierig, jede
Einzelheit eines solchen Berichts auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Das
ist für die Diagnose auch nicht unbedingt erforderlich, es geht ja nicht darum,
jemanden gerichtsfest zu überführen. Was in Angelas Fall ohne jeden Zweifel
feststeht, ist, dass sie an einer posttraumatischen Störung leidet. Und die Ursache
für eine Störung dieses Ausmaßes ist fast immer fortgesetzter sexueller
Missbrauch. Ich will es einmal so ausdrücken: Ihr Bericht vom Satanistenritual
passt geradezu perfekt zum Krankheitsbild.«
»Ich kenne mich mit so etwa nicht aus«, sagte Stamm. »Aber ist diese
Geschichte nicht vielleicht ein wenig zu … lehrbuchmäßig?«
»Wenn Sie damit andeuten wollen, dass ich Angela die Geschichte, wie
Sie sich ausdrücken, eingeredet habe …«
»So weit würde ich nicht gehen«, wehrte Stamm lahm ab. »Ich weiß ja,
dass Angela den Ablauf schon lange, bevor sie in Ihre Obhut kam, so geschildert
hat. Aber könnte sie sich nicht – aus welchen Gründen auch immer – auf diese
Geschichte fixiert haben, um ein anderes traumatisches Erlebnis zu verdrängen?
Ich versuche ja nur, die Berichte, die ich zu hören bekommen habe, miteinander
in Einklang zu bringen.«
»Kann ich so allgemein nicht sagen«, sagte die Ärztin kühl. »Was hat
Frau Dembski denn erzählt?«
»Sie sagt, dass Angela im Alter von fünfzehn Jahren, kurz nach der
Wende, brutal vergewaltigt wurde. Sie ist dadurch schwanger geworden, und ihre
Eltern haben beschlossen, das Kind abtreiben zu lassen. Wussten Sie davon?«
»Nein«, sagte Dr. Terlinden zurückhaltend. Sie machte eine
längere Pause. »Ist der Täter bekannt?«
»Jein, würde ich sagen. Frau Dembski geht davon aus, dass es ein
etwas älterer Junge aus Waren war, ein Schulfreund von Angelas Schwester. Er
habe
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