Soljanka (German Edition)
mehr?«
»Warte du noch ein paar Jahre, bis dein Kind in dem Alter ist, dann
wirst du schon sehen, wie sehr dich das beschäftigt. Ich find’s gut, dass die
Bildung inzwischen so einen Stellenwert hat. Die Zeiten, in denen ein
Macho-Kanzler das als Gedöns abtun konnte, sind Gott sei Dank vorbei.«
»Der Macho-Kanzler bezog sich damals auf das Ministerium für
Familie, Jugend und … na ja, und eben das andere Gedöns«, korrigierte sie
Stamm. »Die Bildung gehörte zu einem anderen Ressort.«
Hanne Lohmeyer zuckte die Schultern. »Korinthenkacker! Glaub mir, er
hat auch die Bildung gemeint. Konferenz in zehn Minuten, ich will nur einen
Blick auf die Post werfen.«
Als Hanne sie schließlich zusammentrommelte, hatte Stamm seinen
Posteingang gründlich gesäubert und nichts gefunden, womit er die Chefredaktion
in Hamburg elektrisieren konnte.
»Okay Hans, schieß los! Was hat dein Trip in den Osten gebracht?«
Sie nippte an ihrer Tasse und verzog den Mund. »Mein Gott, was hat Christa
heute in den Kaffee getan?«
Stamm grinste. »Ja, mein gestriger Trip. Also das Priesterdrama von
Paderborn können wir meiner Meinung nach vergessen. Das Thema ist erstens total
durchgenudelt, und zweitens steckt da auch kein Potenzial drin. Da verstoßen
zwei Priester gegen die Gesetze der katholischen Kirche und fliegen deshalb
raus. Ich frage mich, wo da der Skandal ist. Der Bundestrainer würde ja auch
einen Spieler aussortieren, der meint, er könnte sich mit schönen Eigentoren
selbst verwirklichen.«
»Toller Vergleich«, knurrte Hanne. »Hier haben wir es immerhin mit
einer gesellschaftlichen Debatte zu tun. Ist das Zölibat noch zeitgemäß?«
»Wenn es so wäre, würde ich ja nichts sagen. Aber es gibt eben keine
Debatte. Der frisch Vermählte hat zwar eine ziemliche Welle über die Medien
gemacht. Aber in Wirklichkeit ist das eine rein private Geschichte. Die Leute
interessiert das nicht. Sogar seine Schäfchen in der Gemeinde halten Distanz
und wollen nichts sagen. Da ist keine Solidaritätsfront der Kirche von unten
oder so was. Fünf Leutchen hielten vor seinem Haus ein Transparent hoch,
wahrscheinlich seine Skatbrüder und ihre Familien. Glaub mir, eine ganz müde
Nummer.«
Hanne sah auf die Uhr. »Nun gut, Haken dran. Was ist mit der
Satanistengeschichte?«
»Das war schon wesentlich interessanter«, sagte Stamm. »Wobei, der
Arbeitstitel trifft’s nicht mehr so ganz. Wenn das stimmt, was mir Frau Dembski
erzählt hat, können wir den Aspekt verwerfen. Sie hat mir versichert, dass es
ein solches Satanistenritual, wie Angela Dembski es beschrieben hat, nie
gegeben hat. Für mich klang das einigermaßen plausibel. Aber es kann sein, dass
wir es mit einem richtig fiesen Wiedervereinigungsstück zu tun haben. Ich hab
ja schon letzte Woche erzählt, dass ein Paradegauner der im Sterben liegenden DDR hier eine Rolle spielt. Da dachte ich aber noch,
dass er seine Tochter satanistisch missbraucht haben könnte. Nach den
Erzählungen von Frau Dembski stellt sich die Sache aber etwas anders dar.
Danach ist ihre Tochter im Alter von fünfzehn Jahren vergewaltigt worden. Kurze
Zeit später hat sich ein junger Mann aus Waren das Leben genommen, aber erst,
nachdem ihn Ulrich Dembski ins Gebet genommen hatte. Der Junge soll der
Vergewaltiger gewesen sein, und die Behörden haben die Sache schnell abgelegt.
Und gleichzeitig hat Dembski mit einem Anwalt aus dem Westen ein großes
Betrugsding in der Gegend durchgezogen. Dann verschwindet die ältere Tochter
Dembskis plötzlich auf Nimmerwiedersehen. Und die jüngere, das
Vergewaltigungsopfer, ist bis heute schwer gestört. Und sie lebt jetzt bei
einem Mann, den wahrscheinlich Dembski in den letzten DDR -Jahren
durch eine Intrige für ein paar Jahre nach Bautzen gebracht hat. Hab ich noch
was vergessen? Ach ja, Dembski verschwindet nach ein paar Jahren selbst und
kommt bei der Bahnkatastrophe in Kaprun ums Leben. Also ich weiß nicht, wie ihr
das seht, aber ich finde, das groovt auch ohne Satanisten-Zinnober.«
Hanne schüttelte den Kopf. »Oh mein Gott, Hans, wenn ich dich nicht
schon so lange kennen würde! Was meinst du, Werner? Findest du, das … groovt?«
Werner Meister rückte seine Brille zurecht. »Nun, es klingt, als
könnte es sich lohnen, am Ball zu bleiben.«
»Das war wohl ein Ja«, stellte Hanne Lohmeyer fest. »Wie ausgegoren
ist die Geschichte, Hans?«
»Noch nicht besonders«, räumte Stamm ein. »Ich muss noch gründlich
daran arbeiten, wahrscheinlich
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