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Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?

Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?

Titel: Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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Juden wurden also in der josephinischen und nachjosephinischen Toleranz-Ära befreit. Die Familie Freud zog 1859 von Mähren über Leipzig nach Wien, wo sie dann in der Pfeffergasse sesshaft wurde. Die Freuds wohnten also im jüdischen Viertel der Leopoldstadt in Wien, das kurz darauf seine einschränkenden Grenzen verlor und für alle offen wurde.
    In seiner Kindheit wurde Freud von einer Wahrsagerin vorausgesagt, er würde Minister werden. Was das für eine große Rolle für ihn spielte (er erzählte diese Prophezeiung gern und immer wieder), wurde mir erst klar, als ich Billy Wilder in Hollywood besuchte. In seinem Zimmer stand eine Statuette von Benjamin Disraeli. Ab und zu fuhr Billy Wilder fast zärtlich über den Kopf des ersten jüdischen Premierministers in einer europäischen Demokratie.
    Als Freud Medizin studierte, hatte sich die jüdische Bevölkerung Wiens um 700 Prozent vergrößert, während die allgemeine Population nur um 21 Prozent gewachsen war. 30 Prozent der Mitstudenten an der medizinischen Fakultät in Wienwaren Juden. Freud erinnerte sich später, als er an die Universität gekommen sei, habe er eine spürbare Enttäuschung erlitten. Er, der geglaubt hatte, dass in einer liberalen Gesellschaft alle Bürger unabhängig von ihrer Herkunft gleich sein würden, erfuhr nun, dass ihm seine Mitstudenten ein Minderwertigkeitsgefühl vermittelten, weil er Jude war. Er hatte bis dahin nie geglaubt, dass er sich wegen seiner »Herkunft« zu schämen habe. Jetzt aber erfuhr er, dass er wegen seiner »Rasse« diskriminiert wurde. Der Gegenschlag gegen die verordnete Toleranz Wiens war ein wütender, hasserfüllter Antisemitismus, der seinerseits aus einem Minderwertigkeitsgefühl kam. »Saujud« wurden die Juden auf einmal beschimpft, schildert Freud, und er beschreibt mit Wonne ein Duell, in dem sein Freund Dr. Karl Koller einen Chirurgen, der ihn als »Saujud« beschimpft hatte, beim Duell schwer im Gesicht verletzte.
    In der Zeit also, als Wien blühte und prangte, als die Oper, das Rathaus, die Börse, der Reichsrat, der Justizpalast, das Hoftheater, die Universität und das Museum für Kunst und Industrie gebaut wurden und die Hofburg des Kaisers in der Stadt sich zur Ringstraße öffnete, in dieser Blütezeit wuchs auch der Antisemitismus des Abgeordneten Georg von Schönerer, der im Reichsrat hemmungslosen Antisemitismus predigte, und des Wiener Bürgermeisters Lueger, der zum Bürgermeister gewählt wurde, weil er sich aggressiv des Antisemitismus bediente. Der Kaiser hatte seine Ernennung verweigert, konnte sich dem Druck der Massen und der Straße aber nicht auf Dauer widersetzen. In diesem vergifteten Biotop ist Hitler als arbeitsloser Stadtstreicher groß geworden. Wiens Toleranz wurde zur Wiege des schrecklichsten Pogroms der Neuzeit, und das mitten in Europa. Die Anzeichen ergriffen auch die Kultur, Juden wurden aus studentischen Verbindungen und Vereinen ausgeschlossen, Theodor Herzl träumte als Gegenreaktion seinen Traum vom jüdischen Staat, der später in Israel verwirklicht wurde.
    Übrigens, selbst zu diesem lang erträumten und erhebenden Ereignis gibt es einen skeptischen jüdischen Witz.
     
    Als die Immigranten 1947 mit dem Schiff »Exodus« in Palästina ankamen, fragte ein Reporter die begeisterten Neulinge nach ihren Gefühlen. Alle hatten Tränen der Freude in den Augen, endlich ins gelobte Land heimgefunden zu haben. Nur Moische steht abseits und zeigt kaum eine Bewegung. Der Reporter stürzt auf ihn zu und fragt: »Sie jubeln ja nicht wie die anderen, freuen Sie sich nicht?«
    Darauf Moische: »Doch, doch. Aber wenn uns die Engländer schon ein Land schenken, das ihnen nicht gehört, warum nicht die Schweiz?«
     
    Wie gesagt, die deutsche Sprache war die Sprache des jüdischen Witzes, und Sigmund Freud kann sich gar nicht genug über ein Wortspiel Heines amüsieren, weil er damit entdeckt, dass die Sprache durch ihre eigenen Kurzschlüsse und damit Neuerfindungen selber Witze produziert. »Trauring, aber wahr« hatten wir schon erwähnt. Freud zitiert, dass Heine in Paris bei Baron Rothschild eingeladen war und sich dort, wie er schrieb, »ganz famillionär« fühlte. Also eine einzige große jüdische Familie. Nestroy hat daraus später eine andere Ableitung gezogen. Und es gibt eigentlich keine bessere Kurzschlussdefinition des Spleens der reichen Leute als die Vokabel »millionärrisch«. Von Heine stammt auch das wunderbare, zum Fleisch rückverwandelte Bild, das ihm

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