Solo
ich
tot. Das bleibt keinem von uns erspart. Also keine Klagelieder. Und
auch nichts mehr von meiner dummen Politik, die Dich so sehr
langweilte, denn letztlich ist das Ende wohl immer das gleiche. Ich
weiß nur eines mit völliger Gewißheit. Du hast die
letzten Jahre meines Lebens mit Stolz und Freude erfüllt, mich mit
Deiner Liebe beglückt. Meine Liebe und mein Segen sollen bei Dir
bleiben.
Mikalis Augen brannten, er vermochte
kaum zu atmen. Als sie im Haus ankamen, zog er Kletterstiefel und derbe
Kleidung an und machte sich auf in die Berge. Er wanderte stundenlang
umher, bis ihm die Kräfte versagten.
Er nächtigte in einem verlassenen Bauernhaus und fand
keinen Schlaf. Am nächsten Tag kletterte er weiter und verbrachte die zweite Nacht genau so wie die erste.
Am dritten Tag schleppte er sich in
die Villa zurück, wo Konstantin und seine Frau ihn zu Bett
brachten. Die alte Bäuerin flößte ihm einen
Kräuterabsud ein. Er schlief zwanzig Stunden, und als er erwachte,
war er wieder ruhig und gefaßt. Er rief Fischer in London an und
teilte ihm mit, daß er wieder an die Arbeit gehen wolle.
In der Wohnung an der Upper Grosvenor
Street erwartete ihn ein Berg von Briefen. Er blätterte rasch die
Umschläge durch und stutzte. Einer trug griechische Marken und den
Vermerk «Persönlich». Der Agent hatte ihn an Mikalis
Privatadresse weitergeleitet. Mikali legte die übrige Post
beiseite und öffnete das Kuvert. Es enthielt ein einfaches
maschinengeschr iebenes Blatt Papier. Keine Anrede. Keine Unterschrift.
Dimitri Mikalis Tod war kein Unfall – es war
Mord. Die Tatumstände sind wie folgt. Schon seit einiger Zeit
wurde er wegen seiner Tätigkeit für die Demokratische Front
von gewissen Regierungsstellen unter Druck gesetzt. Mehrere
freiheitsliebende Griechen hatten zur Vorlage bei den Vereinten
Nationen eine Akte über politische Gefangene, die ohne
Gerichtsverfahren festgehalten werden, über Greueltaten aller Art,
Folterungen und Morde zusammengestellt. Man nahm an, daß Dimitri
Mikali über diese Akte Bescheid wußte. Am Abend des 16. Juni
suchten ihn der Chef der politischen Abteilung des Militärischen
Nachrichtendienstes, Oberst Georgios Vassilikos, und dessen
Leibwächter, Sergeant Andreas Aleko und Sergeant Nikos Petrakis,
in seiner Wohnung auf. Sie schlugen brutal auf Dimitri Mikali ein, um
Informationen über diese Akte aus ihm herauszupressen, und
verbrannten dann mittels eines Feuerzeugs das Gesicht und die
Geschlechtsteile ihres Opfers. Als Mikali schließlich an den
erlittenen Mißhandlungen starb, befahl Vassilikos seinen
Schergen, die Leiche vom Balkon zu werfen, damit der Tod wie ein Unfall
aussehe. Das Gericht erhielt Anweisung, ein entsprechendes Verdikt
auszufertigen, ohne den Toten gesehen zu haben, der sofort kremiert
wurde, so daß niemand die Spuren von Mißhandlung und Folter
zu Gesicht bekam. Die beiden Sergeanten Aleko und Petrakis haben sich
in betrunkenem Zustand öffentlich ihrer Schandtat gerühmt,
wie mehrere unserer Sache nahestehende Personen bezeugen können.
In John Mikali raste der Zorn wie ein
wildes Tier. Der Schmerz, der seinen ganzen Körper erfaßte,
übertraf jede bisher erfahrene Qual. Er wand sich in
Krämpfen, fiel auf die Erde und rollte sich dann wie ein
Fötus zusammen.
Er hatte keine Ahnung, wie lange er
in dieser Stellung verharrt war, wußte mit Sicherheit nur,
daß er bei einbrechender Nacht durch die Straßen irrte,
ohne Orientierung, ohne Ziel. Schließlich ging er in eine kleine
billige Imbißstube, bestellte eine Tasse Kaffee und setzte sich
an einen der schmutzigen Tische. Es war wie eine Wiederholung der Szene
von damals, in dem kleinen Pariser Café am Markt: Jemand hatte
ein Exemplar der Londoner Times liegenlassen.
Er nahm die Zeitung zur Hand und ließ mechanisch die Augen
darüber schweifen. Plötzlich erstarrte er, als er in der
Mitte der zweiten Seite eine kurze Überschrift las:
GRIECHISCHE ARMEE-DELEGATION ZU
NATOGESPRÄCHEN NACH PARIS.
Noch ehe er die Meldung im einzelnen gelesen hatte, wußte er, wessen Name darin erscheinen würde.
Danach lief alles ab wie nach einem unfehlbaren
Plan, als hätte Gott selber das Zeichen zum Einsatz gegeben. Am
nächsten Morgen klingelte das Telefon, es war Bruno Fischer.
«John? Gut, daß Sie da
sind. Wenn Sie Lust haben, kann ich sofort zwei Konzerte für Sie
arrangieren, Mittwoch und Freitag. Hoffer sollte Schumanns Konzert für Klavier und Orchester a Moll
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