Solo
Morgen für einen Dauerlauf», sagte er.
Sie erkannte ihn sofort, es war unvermeidlich, denn seit vierzehn Tagen waren in ganz Cambridge Plakate mit dem üblichen Foto angeschlagen.
«Ja, das ist es meistens.»
Er lächelte spontan. «He, eine amerikanische Landsmännin. Das muß mein Glückstag sein. Sind Sie Austauschstudentin oder so was Ähnliches?»
Ihr irisches Erbe brach sich sogleich Bahn, und sie lachte laut auf. «Diese Zeit liegt schon weit hinter mir. Ich unterrichte an der Universität. Ich heiße Katherine Riley und komme aus Kalifornien.»
«Lieber Gott, da komme ich auch her. Ich heiße Mikali – John Mikali.»
Sie nahm seine Hand ein wenig zögernd, denn sie spürte eine prickelnde Erregung, eine Kälte im Magen, die sie noch nie empfunden hatte.
«Ja, ich weiß. Sie spielen heute abend mit dem London Symphony Orchestra Rachmaninows Vierte.»
«Hoffentlich sehe ich Sie dort.»
«Machen Sie Witze? Unsere Studenten haben sich die ganze Nacht angestellt, um am ersten Vorverkaufstag eine Chance zu haben. Seitdem gibt es keine einzige Karte mehr.»
«Unsinn», sagte er. «Wo wohnen Sie?»
«New Hall.»
«Um Mittag lasse ich Ihnen eine Karte bringen.»
Sie konnte auf keinen Fall ablehnen, und sie wollte es auch nicht. «Das wäre wundervoll.»
«Anschließend gibt's einen Empfang für mich im Trinity College. Darf ich Ihnen dafür auch eine Einladung schicken? Es könnte schrecklich langweilig werden, aber nicht, wenn Sie hinkommen.» Ehe sie antworten konnte, warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. «Ich habe nicht auf die Zeit geachtet. Heute vormittag haben wir vier Stunden Probe, und Previn kennt keinen Spaß – also, bis heute abend.»
Er machte kehrt und lief quer über den Rasen davon, in beachtlichem Tempo. Sie blieb stehen und sah ihm nach, bewunderte seine Kraft und war aufgewühlt wie nie zuvor.
Beim Empfang beobachtete sie ihn, wie er am anderen Ende des Saals stand, im Samtanzug und offenem schwarzen Seidenhemd, das goldene Kreuzchen um den Hals, eine Aufmachung, die zu seiner Firmenmarke geworden war. Er wirkte unruhig, während alle sich um ihn drängten, und seine Augen durchforschten ständig den Saal. Als er sie entdeckte, blitzte sofort sein Lächeln auf, er nahm von dem Tablett, das ein Kellner herumtrug, zwei Gläser Champagner und ging geradewegs auf Katherine zu.
«Ich habe in Ihrem College angerufen», sagte er. «Warum haben Sie es mir nicht gesagt? Doktor Riley, Fellow von New Hall. Rang und Titel.»
«Es schien mir nicht wichtig.»
«War ich gut heute abend?»
«Das wissen Sie sehr genau», sagte sie einfach und nahm das Champagnerglas entgegen.
Plötzlich kam ein seltsamer Ausdruck in seine Augen. Als hätte er irgendeine befremdliche Entdeckung gemacht.
Er lächelte und hob sein Glas. «Auf Katherine Riley, eine reizende junge Katholikin mit Verstand, Scharfsinn und erlesenem musikalischem Geschmack, die innerhalb der nächsten drei Minuten mit mir von hier verschwinden und mir Cambrid ge zeigen wird.»
«Jüdisch», sagte sie. «Meine Mutter war Jüdin, und das gibt den Ausschlag.»
«Okay, dann verbessere ich mich. Katherine Riley, eine reizende junge Jüdin. Bedeutet dies, daß Sie zu allem Überfluß auch noch kochen können?»
«O ja.»
«Ausgezeichnet, aber jetzt raus hier. Wir können eine Kahnfahrt im Mondschein machen, und Sie zeigen mir das romantische Bild der silberglänzenden Kirchtürme.»
Nach der ersten halben Stunde fing es an zu regnen, und als es ihnen dann gelungen war, anzulegen und aus dem Kahn zu steigen, waren sie beide naß bis auf die Haut.
Als das Taxi sie in New Hall absetzte, goß es in Strömen, und sie erreichten Katherines Wohnung so triefend naß, wie zwei menschliche Wesen irgend sein können.
Als sie die Tür aufgeschlossen hatte und hineingehen wollte, hielt er sie sanft am Arm zurück. «Nein», sagte er. «Beim erstenmal trage ich dich über die Schwelle. Es ist eine alte griechische Sitte. Wir halten unser heidnisches Brauchtum nämlich in Ehren.»
Später, gegen drei Uhr, als sie endlich zur Ruhe gekommen waren, wandte sie sich ihm im Bett zu, während er nach einer Zigarette griff.
«Ich wußte nie, daß es so schön sein kann.»
«Schlaf jetzt», sagte er zärtlich und legte den Arm um sie.
Es hatte jetzt zu regnen aufgehört und Mondlicht sickerte ins Zimmer. Er lag lange rauchend da und starrte zur Decke
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