Solom: Der Wanderprediger (German Edition)
verkauft und sich in die Berge zurückgezogen. Dort vegetierten sie alle mehr oder weniger dahin wie Odus – entweder waren sie dem Alkohol verfallen oder lebten von der Hand in den Mund.
Auch Sarah hatte sich im Laufe der Jahre verändert, und in jüngster Zeit war es nicht gerade besser geworden. Sie hatte versucht sich einzureden, dass sie den Wanderprediger nie gesehen hatte. Doch Odus gestattete ihr nicht, sich dieser schönen Täuschung hinzugeben. Und dann war heute die Frau von Gordon Smith im Laden gewesen. Sie hatte sich mit den verrücktesten Dingen eingedeckt. Die Letzte, die für so unkontrollierte Einkäufe bekannt gewesen war, war Rebecca gewesen, Gordons erste Frau. Die hübsche Schwarzhaarige mit den kleinen Grübchen.
Rebecca war eine wahre Zauberin in der Küche gewesen. Jede Spendenveranstaltung und jede Party der Freiwilligen Feuerwehr, bei der jeder etwas zu essen mitbringen musste, konnte sich glücklich schätzen, wenn sie mit von der Partie war. Was für ein Unglück, dass sie so tragisch von der Straße abgekommen war! Die Rettungskräfte waren am nächsten Tag bei Sarah im Laden gewesen, hatten was zu trinken und eine Packung Camel gekauft und ihr die ganze schreckliche Geschichte erzählt. Das Auto war den Abhang hinuntergerollt, und Rebeccas Kopf war mit einem sauberen Schnitt abgetrennt worden. Ihr ganzer Körper war voller Blutergüsse, als hätte jemand mit einem Hammer auf sie eingeschlagen. Der Sarg war bei der Beerdigung geschlossen gewesen. Sarah hatte damals gedacht, dass es die Juden schon richtig machten, wenn sie ihre Toten noch am selben Tag bestatteten. So kam man schneller darüber hinweg und konnte dann weitermachen.
In der hinteren Ecke des Ladens fiel ein Stapel Dosen um. Dort ganz hinten standen die Konserven, die so schlecht gingen, dass sie meistens schon Rost angesetzt hatten, bevor sie jemand kaufte. Sie schnappte sich einen Besen, um den Mäusen, die dort hinten wahrscheinlich wieder ihr Unwesen trieben, den Garaus zu machen. Es waren keine Kunden im Laden, für diese Zeit am Vormittag nichts Ungewöhnliches.
Sie lief vorbei an dem schwarzen Bullerofen in der Mitte des Ladens, zwischen ein paar bunt zusammengewürfelten Tischen hindurch, an denen die Leute mittags ihre Sandwiches aßen. Vor ihren Augen tanzten schwarze Punkte, aber sie nahm sich vor, nicht wieder bewusstlos zu werden. Lieber würde sie an einem Herzschlag sterben, als sich von Odus wieder ins Krankenhaus karren zu lassen.
Auf den Regalen zu beiden Seiten standen Marmeladengläser, Kunsthandwerk aus den Bergen, Blumengestecke, Volkskunst aus Massenproduktion, Motoröl, Schneeketten, Keksdosen, Schraubenpackungen, Tischsets für das Erntedankfest, Kerzen, Gummihandschuhe und Mausefallen. Schließlich war das hier ein Gemischtwarenladen. Sarah handelte nach der schönen Theorie, dass die Kunden eher Sachen kauften, die sie gar nicht brauchten, wenn sie lange nach den Dingen suchen mussten, die sie eigentlich wollten.
Zwischen dem Coca-Cola-Kühlregal und einem Postkartenständer stand sie plötzlich einer Ziege gegenüber. Musste wohl ein kastrierter Bock sein, denn sie hatte ihn nicht gerochen. Richtige Böcke pissten sich immer überall voll, wenn sie brünstig waren, und auch sonst rochen sie nicht gerade besonders gut. Sie selbst hatte nie Ziegen gehabt, auch wenn sie Pflöcke, Ketten und Halsbänder an die Leute verkaufte, die sich die Tiere als billige Rasenmäher hielten. Sarah hatte eigentlich nichts gegen Ziegen, aber dass jetzt so ein Vieh in ihrem Laden herumstreunte, passte ihr gar nicht.
»Wie zum Teufel bist du hier reingekommen, du Dummkopf?«, fragte sie. Blöde Frage, eine Ziege konnte ja nicht antworten. Die Hintertür war verschlossen, und Sarah hatte die letzte halbe Stunde direkt an der Vordertür gestanden.
Die Ziege kaute auf irgendetwas herum. Sarah schaute sich um, ob das Vieh vielleicht einen Sack mit Vogelfutter angefressen hatte. Auf dem Boden war alles sauber, dennoch hatte die Ziege irgendwas im Maul. Sarah kniete sich nieder und guckte genau hin. Ihren alten Augen konnte sie nicht mehr ganz trauen. Sie hatte zwar eine Brille, aber die lag immer bei der Kasse. Auf den Lippen der Ziege waren rote Flecken, und in ihrem verkrusteten Bart klebte rosafarbene Spucke.
»Ich weiß zwar nicht, worauf du da gerade herumkaust, aber bete zu Gott, dass es nicht meine Rote Beete ist!« Sarah schwang den Besen und klopfte der Ziege damit sanft auf die Schulter. »Und nun sieh
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