Some like it heiß
Sommersprossen in jenem Sommer, mein Herz fühlte seinen Schmerz, aber ich musste mich zusammenreißen, um nicht vor Lachen umzukippen. Unsere Lage war absurd, das Wetter wurde immer schlechter, und ich fühlte mich wie eine unbezahlte Statistin in einer Emily-Brontë-Verfilmung der BBC. Mein Bruder gab seinen besten Heathcliff – er wollte stoisch und männlich sein, stark trotz aller Widrigkeiten. Aber er musste scheitern. Im Herzen ist er ein gutmütiger Trottel, ein sentimentaler Typ, der durch seine Drogenvergangenheit immer ein bisschen neben sich steht. Er war zwar der älteste Sohn, aber nie unser Alphatier.
Das war meine Schwester. Mary Ann ist der Paradefall der Big Sister. Sie besitzt alle typischen Charaktereigenschaften, wie sie schon der österreichische Psychologe Walter Toman in seinem Buch »Familienkonstellationen« beschreibt: Immer bemutternd und in der Aufpasser- und Beschützerinnenrolle, Zurückstellung der eigenen Interessen, Identifikation mit den Eltern, tüchtig, streng, korrekt und manchmal überfürsorglich.That’s my sister. Sie hat Mutter in den letzten Jahren betreut und gepflegt, hat jeden Monat Mas Papiere geordnet und die Trauerfeier und das anschließende Aschewolkenerlebnis organisiert. Sie ist Sozialarbeiterin und Mutter von drei Adoptivkindern. Sie wiegt 160 Kilo.
Mary Ann hat ein kompliziertes Leben mit einem übervollen Kalender und ist oftmals völlig überfordert. Deshalb hat sie schon vor Jahren herausgefunden, welche Techniken ihr bei der Bewältigung ihres Lebens helfen. Dazu gehört ihr manchmal exzellentes Timing in extremen Situationen. Ich schaute sie flehend an. Genau in dem Moment, als ich durch den unterdrückten Lachanfall, die extreme Unterkühlung und meine generelle Seelennot in die Hose pinkeln wollte, stellte sie die einzig richtige Frage: »Cocktails?«
Zwei Jahre später sitze ich sehr früh an meinem Schreibtisch in Berlin und könnte gut einen brauchen. Ich schaue durch den frühmorgendlichen Nebel Richtung Rathaus Schöneberg und kann es immer noch nicht fassen. Meine Mutter war krank, sie war siebenundachtzig, es war Zeit – aber der Tod kam plötzlich und unerwartet, obwohl ich jahrelang mit der Erwartung gelebt hatte.
Die riesige Uhr am Glockenturm des Rathauses zeigt Viertel vor sechs. Die Zeit rennt. Ich bin eine zweiundfünfzigjährige Frau – ich bin ein Jahr älter als der Präsident of the United States. Ich sollte eigentlich erwachsen sein, aber ich fühle mich wie ein weinendes dreijähriges Kind, das plötzlich allein im Supermarkt steht, inmitten Regalen voller bunter Frühstückscerealien, weit weg vom mütterlichen Einkaufswagen.
Die Glocken läuten. Wo bin ich? And what on earth am I doing here?
2. THE SWEETEST TABOO
Ich bin in den Wechseljahren.
Das ist der un-sexiest Satz aller Zeiten. Der Klang allein: WECHSELJAHRE. Was für ein Begriff! Es hört sich an, als ob etwas ersetzt wird. Die Reifen bei Sebastian Vettel oder ein erfolgloser Stürmer nach 70 Minuten. Ich bin ausgewechselt – und das sogar jahrelang.
Es ist das letzte Tabu. Heute kann man über alles öffentlich plaudern: »Hallo! Ich bin eine transsexuelle Gummifetischistin und treibe gerne Rollenspiele als Dschihadistin bei World of Warcraft!« – »Oh, sehr interessant, da lernst du doch bestimmt interessante Menschen kennen, oder?!«
Wenn ich erzähle, dass ich in den Wechseljahren bin, ist das Gespräch zu Ende. Punkt. Ein garantierter Konversationskiller. Ideal, um jedenAbend zu ruinieren: »Was machen Sie zurzeit?« – »Ich bin in den Wechseljahren.«
Stille. Schlucken. Suchende Blicke. Ich sehe es in den Augen der Männer: Visionen von wütenden, schwitzenden Mamas, heulend vor dem Kleiderschrank, lauter ungebändigte, sektschlürfende Weiber außer Kontrolle, frauenärztliche Dinge. Eklig. Zu intim! Das sind dieselben Männer, die spätabends zufällig und sehr gerne beim Zappen den DSF-Kanal nicht mehr verlassen können. All ihre Konzentration gilt der Endlosschleife von bemerkenswerten Werbespots voller halbnackter, vibrierender Seniorinnen, die ekstatisch stöhnen: »Reife Frauen warten auf deinen Anruf!« Ich glaube, die Damen warten nicht.
Schlimmer ist nur noch der englische Fach- begriff MENOPAUSE.
Erstens, es ist keine Pause. Dank meiner verrückt spielenden Hormone nehme ich mir mal drei bis fünf Sabbatjahre, um das so richtig zu genießen? Nein! Es ist keine Pause. Und mit MEN (das englische Wort für Männer) hat es wirklich nichts
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