Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch
übliche SSD-Prügel zu ersparen?«
Gatz sagte nichts. Nachdem er kurz abgewartet hatte, beugte sich Orel zu mir herüber.
»Ich habe das dringende Bedürfnis, deinen Freund mal kurz zu kneifen, nur um herauszufinden, ob der überhaupt noch einen Puls hat.«
»Sei bloß vorsichtig«, erwiderte ich ganz locker. »Der wird von Tag zu Tag besser. Schon bald kann er dir quer durch den Raum eine Ader im Hirn platzen lassen.«
Orel lachte leise. »Die Leute, die du da um dich versammelt hast, sind wirklich unterhaltsam, Cates, das muss man dir lassen.« Er seufzte und kratzte sich hinter dem Ohr. »Das ist doch die Einkaufsliste eines Durchgeknallten! Und du willst mir wirklich keinen Tipp geben, was das Ganze soll?«
Ich schüttelte den Kopf. »Restriktive Informationspolitik, Mr Orel.«
Erneut kniff er die Augen zusammen und betrachtete die Liste. »Du willst mir also nicht erzählen, wofür wir …« – er hielt inne und leckte sich über den Finger – »… ›Tetrodotoxin‹ brauchen? Ganz zu schweigen davon, was zur Hölle das eigentlich ist und wo wir so etwas kriegen.«
Auf einer Straße mit dem unglaublichen Namen ›Pudding Lane‹ fanden wir eine lange Holzbank – anscheinend hatte man das gute Möbelstück während der einen oder anderen Ausschreitung aus einer der ausgebrannten Kirchen gerettet. Die Bank selbst war bemerkenswert wenig beschädigt; sie stand einfach nur am Straßenrand herum. Durch irgendeine Fügung des Schicksals hatte sie die Geschehnisse der letzten Jahre überstanden, und es waren diese kleinen Veränderungen an der menschlichen Natur an sich, die in mir doch hin und wieder ein wenig Hoffnung aufkeimen ließen. Matt schien die Sonne, sodass alles verblasst und fade schien.
»Das ist ein Nervengift«, erklärte Gatz; seine Stimme klang rau und krächzend.
Orel hob eine Augenbraue und schaute erst zu Gatz, dann zu mir. »Also, Mr Gates, ich habe wirklich nicht gesehen, dass sich Ihre Lippen bewegt hätten, und ihre Hand steckt auch nicht in seinem Arsch! Also gut, wir suchen ein Nervengift, zwei Digitalkameras und immer noch eine Waffe für Mr Gates. In der Zwischenzeit sind die anderen Mitglieder des Gates-Teams mit ihrem Teil unseres geheimnisvollen Einkaufsbummels beschäftigt, während das Arschloch Kieth den Mönch ganz für sich allein hat. Allmählich kommt mir der Gedanke, ich hätte nach irgendwelchen Sicherheiten fragen sollen.«
»Zu spät«, grunzte ich. »Außerdem ist da ja schon unser Mann.«
Jerry Materiel hatte uns bereits einige Zeit lang von der gegenüberliegenden Straßenseite aus einem Fenster im zweiten Stock heraus beobachtet. Sollte er doch ein wenig ›aktive Aufklärung‹ betreiben; verdammt, an seiner Stelle wäre ich auch nervös gewesen. Da verschwindet ein Kerl einfach mitten während einer Transaktion und stellt sich kurz darauf als der derzeit berüchtigtste Schurke des ganzen Systems heraus, und dann meldet er sich unvermittelt wieder und verlangt eine noch viel größere Transaktion – und schließlich hat er auch noch einen Fremden bei sich. Ich würde auch eine Weile abwarten, um zu sehen, ob sich irgendetwas tut. Mir fiel auf, dass die Jungs, mit denen Materiel auf der Wohlfahrtsmeile herumgestanden hatte, sich auch hier herumdrückten, dabei aber ganz beiläufig und desinteressiert taten. Ziellos und missgelaunt stapften andere an uns vorbei, und wenn ich Materiels Jungs nicht schon mal gesehen hätte, wären sie mir vielleicht gar nicht aufgefallen.
Auch das war okay so. Mir gefiel es, wenn jemand vorsichtig war, und wer es sich leisten konnte, Gefolgsleute zu unterhalten, musste wirklich gut im Geschäft sein.
Jerry kam nicht aus der Tür des Hauses, von dem aus er uns beobachtet hatte; ich lächelte zustimmend, als er stattdessen das Nachbargebäude verließ. Er wirkte ganz so wie jemand, der überhaupt keine Feinde hatte und nun in aller Ruhe in den matten Sonnenschein hinaustrat, um seinen Geschäften nachzugehen.
»Mr Cates«, sagte er und reichte mir eine unauffällige Papiertüte. »Sie ham sich absentiert, bevor ich das Auszuliefernde liefern konnte, einschließlich ’n paar Zeichnungen, die Sie interessier’n könnt’n.«
Vorsichtig griff ich nach der Tüte und fand darin zu meiner großen Überraschung unter anderem die Waffe vor, die ich bei ihm bestellt hatte; sie glitzerte im schwachen Sonnenlicht. Außerdem entdeckte ich ein paar alte, ziemlich ramponierte technische Zeichnungen – auf Papier, eindeutig aus der
Weitere Kostenlose Bücher