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Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch

Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch

Titel: Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Somers
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abschneiden, dann war das ein sehr guter Grund, genau das Gegenteil zu glauben. Immer weiter ließ ich den Blick über die Leute streifen, die hier die Überreste von Downtown Manhattan durchquerten, sah zornige, gelbliche Gesichter, doch meine Zielperson entdeckte ich nirgends. Frustriert trat ich von einem Bein auf das andere, um die Kälte zu vertreiben. Ich war wirklich an einem Tiefpunkt angelangt. Seit meiner Nahtod-Erfahrung auf der East Side gaben die Bullen meine Beschreibung an alles und jeden weiter und versuchten mit allen Mitteln, den Kerl ausfindig zu machen, der Colonel Janet Hense ermordet hatte; und ich hatte mein gesamtes Geld ausgeben müssen, um dafür zu sorgen, dass der Nebel immer schön dicht genug blieb, um meinen Namen aus der Sache herauszuhalten. Und jetzt war ich nicht nur völlig blank, sondern auch noch so tief in die immer noch laufenden Ermittlungen eines Polizistenmordes verstrickt, dass mich niemand auch nur mit der Feuerzange anfassen würde – und entsprechend schlecht lief das Geschäft. Und so war Avery Cates der Grooche und Chrecklice gezwungen, für einen miesen Hungerlohn auf der Straße zu arbeiten. Man musste ja schließlich auch seine Rechnungen bezahlen. Wenn man seine Rechnungen nicht bezahlte, dann lauerte ganz schnell jemand wie ich in irgendwelchen Schatten und wartete nur darauf, einem die Kehle durchzuschneiden – und auf mich warteten eine ganze Menge Rechnungen. Die Arbeit auf der Straße wurde zwar wirklich beschissen bezahlt, aber das war immer noch besser als gar nichts.
    Tatsächlich standen auf der anderen Straßenseite, uns genau gegenüber, gerade drei Mönche, und ich verschwendete einen Augenblick darauf, sie anzustarren. Es war ein ganz typisches Bild: zwei von ihnen standen links und rechts von einem dritten, der sich auf eine Kiste gestellt hatte und predigte. Und predigte. Und predigte. Wenn man am Morgen an denen vorbeiging, dann stand dieses scheußliche Ding mit der leichenhaft weißen Haut, ganz in schwarz gekleidet und mit einer großen, verspiegelten Sonnenbrille auf der Nase, dort herum und hielt eine große Rede über die Erlösung. Wenn man am Mittag zurückkam, stand der gleiche Freak immer noch dort und hielt genau die gleiche Rede. Am Abend war er dann immer noch da. Am Anfang hatten wir alle gedacht, das seien Scheiß-Roboter. Es war schon komisch: Der gleiche Roboter, der einem letztes Jahr den Arbeitsplatz weggenommen hatte, war jetzt damit beschäftigt, Gott höchstpersönlich arbeitslos zu machen.
    Während ich sie noch anstarrte, wandte einer der drei mir seinen teigig-weißen Schädel zu und erwiderte meinen Blick. Ich kämpfte gegen das fast übermächtige Bedürfnis an, wegzuschauen, als habe ich ganz in der Nähe plötzlich etwas sehr Interessantes entdeckt. Ich starrte den Mönch weiter an – man musste immer schön weitermachen bei diesem Spiel. Ich war Avery Cates, der härteste Brocken im ganzen System, und ich konnte diese unheimlichen Mönche so lange anstarren, wie ich wollte!
    Die Mönche sahen alle gleich aus. Ihre Plastik-Gesichter waren zwar in der Lage, Emotionen widerzuspiegeln – in sonderbaren, vorprogrammierten Grimassen, die nicht im Mindesten natürlich wirkten –, aber ihre Gesichter waren total identisch. Zunächst hatte man sie nur hier und dort gesehen und hin und wieder ein paar Gerüchte über sie gehört. Jetzt waren sie überall. Man sah die Mönche auf den Straßen und in den Zügen. Die Cyber-Kirche war eine anerkannte Religion. Alles war legal – man behauptete, für jedes Mitglied vollständige Papiere zu haben, denen eindeutig zu entnehmen war, jeder einzelne von ihnen habe sich freiwillig für die Konversion zu einem Mönch entschieden. Bislang kauften die System-Bullen ihnen das auch ab und ließen sie in Ruhe.
    Nach einem kurzen Moment wandte ich bewusst beiläufig den Blick ab, schaute wieder zu dem Zigarettenstummel hinüber und leckte mir über die Lippen. Das war fast eine halbe Zigarette, und sie schien auch noch ein guter Jahrgang zu sein: noch aus der Zeit vor der Vereinigung. Natürlich alt und vertrocknet, aber immer noch besser als die Scheiße, die man heutzutage bekam – wenn man sich die überhaupt leisten konnte. Und für mich galt das gewiss nicht. Wie hypnotisiert starrte ich diese Zigarette an und fragte mich, ob wohl irgendjemand bemerken würde, wenn ich mich danach bückte. Man musste ja schließlich auf seinen Ruf achten – immer und überall.
    Sanft stieß mich Nad

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