Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch
Ich blickte zu ihm hinüber. Er starrte immer noch den Bildschirm an. »Wir haben ein Problem.«
Ich drehte mich um und blickte zum immer noch lautlosen Vid-Schirm – und dann zuckte ich zusammen. Auf dem Schirm war, fast einen Meter hoch, das Gesicht von Barnaby Dawson zu sehen. Mit einer Handbewegung schaltete ich den Ton wieder ein.
»… wahrsam entkommen und befindet sich derzeit auf der Flucht. Sprecher des SSD konnten keine Erklärung dafür liefern, wie Captain Dawson aus dem Gewahrsam entkommen konnte, haben jedoch eine Warnung an die Öffentlichkeit herausgegeben, dass der ehemalige SSD-Officer bewaffnet und gefährlich ist. Sie weisen weiterhin darauf hin, dass sich Captain Dawson im Gewahrsam der Abteilung für Innere Angelegenheiten befand. Unter dem Verdacht zahlreicher Verstöße gegen die Dienstvorschriften des SSD wurde gegen ihn ermittelt, einschließlich Mord, Handel mit illegalen und/oder gestohlenen Gütern, Gefangenenmisshandlung, Amtsmissbrauch, Ver …«
Ich schaltete den Ton wieder aus.
»Noch einer ihrer Freunde vom SSD?«, fragte eine der Schwestern und hob eine Augenbraue.
Ihre Schwester wiederholte die Geste, hob jedoch genau die andere Braue. »Ich glaube, wir sollten eine Gefahrenzulage verlangen.«
Lange starrte ich Gatz nur in die dunklen Brillengläser. Dann riss ich mich zusammen. »Bloß jemand, den wir für tot gehalten hatten. Der spielt hier keine Rolle.« Ich holte tief Luft. »Also: Einsatzpläne, eine dieser Einheiten in unsere Gewalt zu bringen. Dann lasst mal hören, Leute.«
Immer noch ging mir Dawsons Gesicht durch den Kopf, mit diesen stets unruhigen blauen Augen, in denen sich der nackte Wahnsinn spiegelte. Ich wusste, ich würde ihn schon bald wiedersehen. Wenn es eine Regel gab, die wir alle, die wir als Bodensatz der Gesellschaft im täglichen Überlebenskampf stets, immer und unweigerlich beachteten, dann war das: Man sollte niemals erfolglos versuchen, einen System-Cop umzubringen.
XII
Von der Schlechtigkeit der Welt zu
diesem Leben gezwungen
10010
»Kieth ist wirklich durchgekommen, ja?«
Ich blickte zu Milton hinüber – zumindest glaubte ich, es sei Milton –, antwortete aber nicht sofort. Im KomLink in meinem Ohr hörte ich nur Rauschen – der Wind der Stadt strich vorbei. Ich blickte mich nach Gatz um.
»Alle sind durchgekommen«, sagte ich knapp.
Innerhalb weniger Stunden hatte Kieth eine erstaunliche Menge Hochqualitäts-Tech herbeigeschafft, einschließlich der drahtlosen KomLinks, die wir jetzt alle bei uns hatten -jeweils einem winzigen Ohrstecker und einem Mikrophon, das selbst noch die leisesten Geräusche aufnahm. Irgendwie hatten Milton und Tanner den perfekten Transporter für unser Zielobjekt gefunden. Ich hatte uns mit Waffen ausgestattet, hatte innerhalb weniger Stunden praktisch alles auf meiner Wunschliste gefunden – auf der Straße erzählte man sich, ich sei ein toter Mann, stünde auf der Abschussliste des SSD und steckte bis über beide Ohren in Schwierigkeiten … aber zugleich hieß es auch, ich sei ein reicher toter Mann, daher verliefen die erforderlichen Transaktionen völlig problemlos, obwohl ich eigentlich ja alles andere als kreditwürdig war. Auch wenn Kev Gatz’ Aufstieg zu den höheren Weihen der Weltklasse-Kriminalität gänzlich ohne sein eigenes Zutun erfolgte, nahm er es doch hin, ohne mit der Wimper zu zucken. Jetzt stand er draußen auf der Straße, die von uralten Ruinen gesäumt wurde; es wirkte, als halte lediglich die Gewohnheit ihn aufrecht.
»Wo zum Teufel sind wir eigentlich?«
Ich knirschte mit den Zähnen. Milton konnte einfach nicht die Klappe halten. Es war ein Fehler gewesen, sie von ihrer Zwillingsschwester zu trennen: Jetzt plapperte sie ohne Punkt und Komma, und ich hatte wirklich das Gefühl, als wisse sie überhaupt nicht, was sie tun solle, wenn ihre Schwester nicht unmittelbar neben ihr stand. »Newark«, sagte ich knurrig. »Oder das, was davon übrig geblieben ist. Bei den Ausschreitungen ist diese Stadt fast völlig abgebrannt. Heutzutage lebt hier niemand mehr, es gibt nur noch ein paar kleine Dörfer mit Hütten aus Abbruchgestein.«
Sie nickte. Ich hob das Scharfschützengewehr, das ich mir organisiert hatte, und überprüfte zum hundertsten Mal dessen Funktionstüchtigkeit.
»Weißt du, wie man mit sowas umgeht, Jungchen?«
»Ja.«
»Ich weiß, das Ding ist alt. Es stammt noch aus der Zeit der Irakkriege. Richtigalt. Aber das Ding verschießt
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