Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche
noch mal! Ich hatte das Gefühl, um Tausende von Jahren gealtert zu sein, meine Innereien waren nur noch Brei, mein Blut vergiftet. Ich sah mich selbst, sah, wie ich starb, sah, wie ich innerlich aufgefressen wurde, und ich sah auch, wie ich mich nur wenige Tage später wieder aufrichtete, repariert, mit ausdruckslosen Augen, völlig weggefressenem Hirn – der Rest meiner Existenz würde ich nur noch ein Werkzeug sein.
Und dann krachte Glee wieder gegen mich, schnitt mir dreimal hintereinander quer über den Unterleib, während ich rücklings zur Theke in der Mitte des Raums taumelte. Völlig instinktiv presste ich Glee die Mündung meiner Waffe gegen den Bauch und drückte zweimal hintereinander ab. Im gleichen Augenblick, in dem die Lampe wieder erlosch, stürzte Glees kleiner Körper zu Boden.
Ich starrte in die Dunkelheit, in der ich noch vor einer Sekunde meine alte Freundin gesehen hatte. Zu meiner Rechten sah ich immer wieder Lichtblitze. Dort kümmerten sich Belling und Lukens um ihre eigenen Probleme. Doch ich ignorierte all das Geballere. Ich hatte Glee schon wieder getötet.
Genau wie jeden anderen, an dessen Tod ich schuld war. Jeder, den ich jemals gekannt hatte, war mittlerweile tot – oder würde es schon sehr bald sein. Außer Dick Marin, dem ewig lächelnden, unzerstörbaren Richard Marin, seines Zeichens Leiter der Abteilung für Innere Angelegenheiten des SSD. Und es sah ganz so aus, als gelte Gleiches auch für Dennis Squalor – auch der schien gottverdammtnochmal unsterblich zu sein. Diese beiden Mistkerle würden sich noch gegenseitig in die Fresse hauen, wenn die ganze Welt schon in Schutt und Asche läge und sonst nichts und niemand mehr übrig geblieben wäre.
Letztendlich waren es doch immer die ganz hohen Tiere, die mit so einem Scheiß anfingen. Die ganze letzte Woche war ich nur schnurstracks einem festgelegten Weg gefolgt, war wie eine gottverfluchte Marionette bloß von Punkt A nach Punkt B gelaufen. Man hatte mich entführt, mich an den einen fremden Ort geschleppt; ein gottverdammter Spook hatte mich durch die Luft geschleudert. Man hatte mich in irgendeinen Raum bugsiert, und da war dann plötzlich Glee, und die musste ich umbringen, weil das gottverdammte Universum das nun einmal so vorgesehen hatte. Und jetzt musste ich in einen anderen Raum stapfen und Ty Kieth umbringen – ich musste Ty Kieth verraten!-, weil das nun einmal das Nächste war, was das Universum von mir wollte. Mein ganzes Leben verlief wie auf Schienen; nie war das anders gewesen, nie hatte ich anders leben können.
Die Lampe flammte wieder auf. Als ich Glee im Schein der Lampe sah, den Mund weit aufgerissen wie ein Fisch auf dem Trockenen, die toten Augen fest auf mich gerichtet, war ich beinahe schon überrascht. Sie blutete schwer und konnte ganz offensichtlich nicht atmen. Sie wand sich nicht, schien keinerlei Schmerzen zu haben – sie blickte mich bloß mit diesen ausdruckslosen Augen an. Ich blickte zu der Wunde, vermutete, ich hätte wohl eine Arterie getroffen, schätzte ab, dass sie in ungefähr fünf Minuten tot sein würde … schon wieder. Ihre Brust verkrampfte sich sichtlich, immer wieder ballte sie die Hände zu Fäusten; ihre Lippen bewegten sich, doch sie starrte mich unablässig an. Ich zwang mich dazu, ihren Blick zu erwidern und mitanzusehen, was hier geschah. Ich hatte das Gefühl, ich müsse mir das ansehen.
Dumpf hörte ich Schüsse. Ich spürte, wie Marko an meinem Mantel zerrte. Ich ignorierte das alles und schaute zu, wie Glee starb, sah, wie die rhythmischen Blutfontänen schwächer und ungleichmäßiger wurden, sah, wie die Krämpfe sich legten. Ich schaute zu, wie die Hände meiner alten Freundin plötzlich ruhig wurden. Ich schaute zu, wie ihre Brust noch einmal zitterte und sich dann nicht mehr regte. Ihre Augen veränderten sich nicht. Ich wusste, dass sie tot sein musste. Doch ihre Augen waren immer noch offen, waren immer noch auf mich gerichtet, genauso ausdruckslos und leer wie zuvor. Marko zerrte noch vehementer an meinem Mantel, und plötzlich übertönten die Schüsse alles andere. Während ich Glee noch anstarrte, zuckte sie plötzlich und stieß einen entsetzlichen, saugenden Laut aus. Während ich sie anstarrte, atmete sie plötzlich wieder, ein furchtbares Keuchen, als pumpe eine unsichtbare Faust ihre Brust auf und ab.
Die Nanos reparierten sie bereits wieder.
Ich stürmte vor und beugte mich über sie, richtete meine Waffe auf ihren Kopf, mein Hände
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