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Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche

Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche

Titel: Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Somers
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aufs Geschäft einmal abgesehen. Der Mann war schon so alt gewesen, dass jeder ihn für unsterblich hatte halten müssen. Nie hatte er sich verändert: Gestern hatte er genauso alt ausgesehen wie damals, als ich ihn kennen gelernt hatte. Mir wurde schwindelig.
    Ohne noch ein Wort zu sagen, ging ich auf das Büro zu, die Hände zu Fäusten geballt. Ich drängte mich an den spärlichen Kneipenbesuchern vorbei. Sie alle ließen sich von mir beiseite stoßen oder gingen mir von sich aus aus dem Weg. Wäre auch nur ein Einziger zu langsam gewesen, hätte ich ihm vermutlich den Arm gebrochen. Als ich die Tür schon fast erreicht hatte, schienen sämtliche Gäste aufgestanden und zur Wand zurückgewichen zu sein, sodass der Weg für mich frei war. Wie wild gestikulierte ich vor der Tür; sie öffnete sich mit einem leichten Seufzen. Ich krachte das Türblatt gegen die Wand, trat in das vertraute Halbdunkel von Picks Büro und stoppte.
    Sie lag auf dem kleinen Nachtlager, das sie immer benutzt hatte. Seit sie angefangen hatte, ernstlich zu wachsen, war es ihr längst zu klein geworden. Zumindest nahm ich an, dass sie es war. Ihr Gesicht war von dunklen, fast schwarzen Flecken übersät, an ihrer Nase nässte eine kleine entzündete Wunde. Ihre Brust sah aus, als hätte jemand dort ein Stück herausgeschnitten: Ich erkannte einen regelrechten Krater aus schorfigem Blut, der beinahe auch noch ihr Hemd und ihren Kapuzenmantel zu verschlingen schien.
    »Verdammte Scheiße«, flüsterte ich, als ich hinter mir Schritte hörte. Als ich mich umdrehte, sah ich vor mir Jabali, der sorgsam die Tür hinter sich schloss.
    »Wird immer schlimmer«, sagte er. »Noch vor ein paar Stunden hat sie nicht ganz so schlimm ausgesehen. Das geht immer weiter, was auch immer das für eine Scheiße eigentlich ist -sogar noch, wenn man schon tot ist. Das kennt wirklich keine Gnade. Mel hat uns gezwungen, den armen alten Pick zu verbrennen, wissen Sie? Sie hat gesagt, sie wolle nicht, dass er aufgefressen wird.«
    Ich blickte zu Glee hinüber und zwang mich dazu, näher zu treten. Ihre Augen waren geöffnet und sahen völlig normal aus, so klar und makellos, dass ich sie gar nicht ansehen wollte. Ich beugte mich über sie, streckte die Hand aus und schloss ihr die Augen. Ich zuckte ein wenig zurück, als ich das kalte Fleisch berührte. Ich hatte viele Leute umgebracht. Ja, ich hatte viele Leute umgebracht, und es hatte mir keine schlaflosen Nächte bereitet. Aber als ich jetzt auf die Kleine hinunterblickte, bemerkte ich, dass ich wirklich zitterte. Ich strich ihr über das rote Haar, das mir im Vergleich zu ihrer blassen Haut viel dunkler erschien, als ich es in Erinnerung hatte. Allmählich roch man die einsetzende Verwesung, und so wandte ich den Blick zur Decke, kniff die Augen zusammen und versuchte mich zusammenzunehmen.
    »Gottverdammte Scheiße«, murmelte ich. Wieder blickte ich auf Glee hinab – und zuckte zusammen: Hatte sich ihre Brust gerade … bewegt? Ich starrte sie an. Allmählich verlor ich wohl den Verstand! Man hatte mich gejagt, ich war mit einem Schweber abgestürzt, ich hatte tot gespielt, und jetzt fand ich heraus, dass die einzigen drei Menschen, die ich vielleicht als Freunde bezeichnet hätte, tot waren – und sie waren nicht friedlich gestorben. Ich verlor wirklich meinen gottverdammten Verstand!
    Ich schloss die Augen und mahlte mit den Zähnen; immer noch zitterte ich. »Verbrenn sie«, sagte ich leise. »Wenn diese Scheiße sich immer noch … ausbreitet, dann verbrenn sie, verdammt noch mal! Okay? Dann pack deinen Scheiß zusammen. Wir gehen wieder Uptown.« Ich drehte mich herum und zwängte mich an Jabali vorbei. Ich hatte die Absicht, jetzt so lange zu trinken, bis meine Hände nicht mehr zitterten. Wieder rieb ich mir die kleine Wunde an meinem Hals. Newark, dachte ich. »Jemand von der Gesundheitsbehörde wollte mit mir reden. Dann sorgen wir eben dafür, dass dieses Gespräch auch wirklich stattfindet.«

VIII
    Tag fünf:
    sie haben mich gerade umgebracht
     
     
    Die Daumen in den Schlaufen ihrer Hosen standen die beiden Brecher da und beobachteten uns. Ihre schlecht sitzenden Uniformen waren völlig zerknautscht. Einer der beiden Männer war ein rundlicher mondgesichtiger Asiat, dessen Kiefer geistesabwesend ständig mahlten. Der andere war hochgewachsen, blass und dünn wie eine Bohnenstange. Seine Hose war entschieden zu kurz – kein Wunder bei seinen langen Beinen –, und von seinem spitzen Kinn hing ein

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