Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche
überraschend kalt; die eisigen Fluten klatschten gegen meinen Körper. Meine Kleider sogen sich voll und wurden erstaunlich schwer, und nach vielleicht einer Minute keuchte ich vor Anstrengung. Ich hörte, wie die anderen hinter mir ebenfalls ins Wasser stiegen. Und schon bald platschten wir allesamt lautstark im Wasser herum, um uns der Insel zu nähern. Etwa auf halber Strecke zu unserer Linken war die Kaimauer ein wenig eingestürzt, und so konnten wir uns aus dem widerlichen Fluss herausziehen und standen schon bald tropfnass vor dem massiven Gebäude. Ich atmete schwer und versuchte immer wieder, einen Hustenanfall zu unterdrücken, während ich mir dieses Gebäude genauer anschaute. Es bestand aus gräulich-weißem Stein und war erstaunlich gut erhalten. Ich musste an die Kirche in Newark denken und wunderte mich, welcher Urinstinkt die Leute wohl dazu anhielt, ausgerechnet Kirchen in Ruhe zu lassen, während sie den ganzen Rest der Welt in Schutt und Asche legten.
Wir nahmen uns ein wenig Zeit, Waffen und Ausrüstung zu überprüfen. Marko führte einen weiteren Scan durch und nickte dann wortlos. Happling und ich schlichen an der Mauer entlang zur Frontseite des Gebäudes hinüber. Dort ragten die beiden Türme vor uns hoch zum Himmel empor. Unmittelbar vor der Kirche lag ein großer freier Platz. In der immer weiter zerfallenden Stadt in der Ferne herrschte völlige Stille. Wir hielten inne und betrachteten die drei riesigen Türöffnungen: Dreiecke mit leicht geschwungenen Schenkeln. Die Türblätter fehlten, und aus den Öffnungen schien die Dunkelheit regelrecht herauszuströmen. Es war eine Dunkelheit, die die Luft, die uns hier draußen umgab, verblassen zu lassen schien. Ich warf einen Blick auf den Boden und schaute den runden Stein an, der dort eingelassen war. Darauf waren Wörter zu erkennen: POINT ZERO DES ROUTES DE FRANCE. Ich wusste nicht, was das bedeuten sollte – falls es überhaupt jemals eine Bedeutung gehabt hatte.
Die Türeingänge waren leere schwarze Schatten. Happling deutete auf den entferntesten der drei, und ich nickte, presste mich dicht an die Mauer und schlich dann rasch hinüber. Kurz tauschten wir noch einmal einen Blick aus, dann traten wir gleichzeitig ein.
Ich ließ mir einen Augenblick Zeit, damit sich die Augen an das Halbdunkel gewöhnen konnten. Meine Lungen brannten immer noch, und ich fühlte mich, als hätte ich mir Muskeln gezerrt, von deren Existenz ich bislang überhaupt nichts geahnt hatte. Reglos blieb ich eine halbe Minute stehen, sodass meine Augen das spärliche Licht im Inneren auch auszuwerten vermochten.
Das Innere der Kirche bestand aus einem schmalen Saal.
Das Gewölbedach spannte sich unglaublich hoch über uns. Die verrotteten Überreste dessen, was einst Bänke gewesen waren, lagen unmittelbar vor mir überall auf dem Boden. Aber ein Stück weiter entfernt, am anderen Ende des Saals also, hatte jemand aufgeräumt und allen Müll eingesammelt. Dort befand sich eine leicht erhöhte Plattform unterhalb einer Reihe leerer, klaffender Fensteröffnungen. Ich blickte nach rechts und erspähte Happling ein Stück weit vor mir. Er drehte sich zu mir herum und zuckte die Achseln. Ich nickte ihm zu und trat einen Schritt vor. Gleichzeitig ließ er sich einen Schritt weit zurückfallen und senkte seinen Shredder, um mir Deckung zu geben.
Ich ging los. Bei jedem Schritt schmatzte mein durchweichtes Schuhwerk auf dem Kirchenboden. Mein Herz hämmerte so stark, als wolle es unbedingt aus meinem Brustkorb fliehen. Alles in meinem Inneren hatte sich schon längst in eine Flüssigkeit verwandelt, die nur darauf wartete, sich auf den Boden zu ergießen. Selbst mein Atem erschien mir dröhnend laut; keuchend pfiff die Luft durch meine ruinierte Nase. Schweiß troff mir in mein unverletztes Auge und strömte über jeden Kratzer an meinem Leib. Meine aufgeschürfte, aufgerissene, überall verletzte Haut brannte. Ich fühlte mich, als stünde ich auf einem Scheiterhaufen. Ich hielt die Waffe am ausgestreckten Arm, ein Stück weit vor mich, den Finger schon an den Abzug gelegt. Ich rief mir ins Gedächtnis, dass ich noch vierzehn Schuss hatte, dass es hier keinerlei Deckung gab und ich mich darauf verließ, von einem System-Bullen Deckung zu erhalten, der mich abgrundtief hasste.
Als ich der erhöhten Plattform näher kam, stellte ich fest, dass sie keineswegs leer war. Der Steinboden hier war blank poliert und die einzelnen Steinfliesen in einem Schachbrettmuster
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