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Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche

Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche

Titel: Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Somers
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beleidigen.
    »Avery!«, rief mich von draußen eine neue, sonderbar vertraute Stimme. Es klang, als versuche jemand, anstelle von Luft geschmolzenes Metall durch einen Vocoder zu pressen. »Komm heraus, Avery! Du kannst uns hier ja doch nicht entkommen!«
    Es dauerte einen Moment, bis ich diese Stimme mit einer Erinnerung verknüpfen konnte – ich, auf den Knien, draußen in Newark. Wie lange war das her? Wirklich erst eine Woche? Ein Schauer durchlief mich. Langsam, Zentimeter für Zentimeter, näherte ich mich dem Durchgang und spähte um die Ecke, auf den Platz vor der Kirche hinaus. Lange Zeit stand ich nur wie angewurzelt da und starrte vor mich hin. Überall auf dem ganzen Platz standen Mönche.

XXII
    Tag acht:
    einige weitere Zentimeter
    an die Wildnis
     
     
    So dicht standen die Mönche vor mir, dass ich auf den Gesichtern matte Rostflecken erkennen konnte. Ich erlebte den Klang der Stille. Denn alles, was mitten in der Nacht in einer toten Stadt von einem Dutzend Mönchen ausging, war vollkommene Stille. Ich hielt mich hinter der schmalen Steinwand verborgen, spähte weiterhin vorsichtig um die Ecke. Ich war entsetzt. So viele Mönche – so viele voll funktionsfähige Mönche! – hatte ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Was hin und wieder in der Gegend von Manhattan durch die Straßen schlurfte und bettelte, waren traurige, wirklich armselige Wracks, bei denen man nicht zweimal überlegte, bevor man sie einfach aus dem Weg stieß. Diese hier schienen allesamt aus den ursprünglichen Bauteilen zu bestehen. Das bedeutete vermutlich auch, dass sie mit Schusswaffen ausgestattet waren. Aber zugleich waren sie alle schon ein wenig eingerostet und angeschlagen. Ich ließ meinen Blick über die versammelten Cyborgs schweifen, zählte die Dellen und Schnitte in ihrer weißen Haut, die Risse in ihren Gewändern. Sie alle standen dort mit dieser völligen, ruhigen Selbstsicherheit, die auf fest verdrahtete Reflexe schließen ließ – und auf kleine Kernkraftwerke, die ihnen ihr Halb-Leben ermöglichten. Und wahrhaftig: sie hatten überlebt, auch wenn ihnen das offensichtlich nicht allzu leicht gefallen war.
    Ich hasste sie sofort.
    Belling stand vor ihnen. Er wirkte wie frisch gebügelt, war völlig entspannt, als befinde er sich unter Freunden. Seine Arme hingen locker herab, die Roons in seinen Händen glitzerten.
    »Ich würde Ihnen gern meine Wohltäter vorstellen, Mr Cates«, sagte er. Nun lächelte er nicht mehr.
    Ein Mönch trat vor. Er sah so funkelnagelneu aus, dass ich ernstlich glaubte, noch den Stoff seines Gewandes riechen zu können. In der Dunkelheit schien sein Gesicht über den kaum wahrnehmbaren Umrissen seines Körpers in der Luft zu schweben. Einen entsetzlichen Augenblick lang lächelte er mich an, als posiere er für ein Foto.
    »Avery«, sagte der Cyborg, »du bist so gerissen wie eh und je. Ich hätte niemals gedacht, dir hier zu begegnen, auch wenn Er mir gesagt hat, genau das werde geschehen. Komm jetzt heraus! Wir sehen dich sowieso. Vielleicht«, fuhr die Maschine mit lauterer Stimme fort, »möchten auch die beiden Officers des System-Sicherheitsdienstes und ihr Techie-Haustier herauskommen?«
    Ich lehnte mich wieder gegen die Wand, mein Herz schlug mir bis zum Hals. Fünfzig, sechzig Mönche. Keiner von denen wirkte, als sei er verrückt geworden. Sie verfügten über digitale Sichtgeräte, lasergesteuerte Zielerfassung, Reflexe, die nur von der Geschwindigkeit ihrer gottverdammten CPU abhingen -und ich hatte zwei unselige System-Bullen am Arsch! Und der einzige Dreckskerl, den ich wirklich umbringen wollte, befand sich im Inneren eines kugelsicheren Glaswürfels. Ich wäre am liebsten nur eine Zeit lang hinter dieser schmalen Wand stehen geblieben und hätte abgewartet, was sich so alles ergab. Sollten doch ruhig noch ein paar Tausend Leute mehr sterben.
    Und dann ergriff mich eine sonderbar träge Mattigkeit, von meinem Kopf aus erfasste sie meinen ganzen Körper – ein friedliches, richtig angenehmes Gefühl. Was soll’s?, dachte ich. Ich war nicht in der Lage, sechzig gottverdammte Mönche abzuwehren – und dazu noch Wa Belling! Also warum sollte ich es überhaupt versuchen?
    Ich fühlte mich sonderbar glücklich; endlich konnte ich alles bloß geschehen lassen. Es war fast, als hätte ich mich tagelang mit aller Kraft an einem Seil festgeklammert und könnte jetzt einfach loslassen. So trat ich einen Schritt nach rechts und blieb dann mitten im Türrahmen stehen.

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