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Sommer am Meer

Sommer am Meer

Titel: Sommer am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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haben keinen Platz mehr fürs Mittagessen.“
    „Ich wünschte, ich müßte da nicht hin. Mrs. Jilkes, wenn ein Anruf für mich kommt, würden Sie ihn entgegennehmen?“
    Mrs. Jilkes verdrehte mit gezierter Miene die Augen. „So so, Sie erwarten einen Anruf? Wohl von einem jungen Mann, wie?“
    Virginia wurde rot. „Hm, ja, stimmt. Aber Sie passen auf, ja?“
    „Keine Bange, meine Liebe. Ah, Mrs. Lingard ruft... wird Zeit, daß Sie losfahren. Und ich sehe nach Ihrer Mutter und bringe ihr mittags ein Tablett mit einem Happen zu essen rein.“
    Sie waren erst um halb sechs wieder zu Hause. Alice ging sofort ins Wohnzimmer, um sich nach Rowena Parsons' Befinden zu erkundigen und ihr alles zu berichten, was sie getan und gesehen hatten. Virginia war auf dem Weg zur Treppe, aber kaum hatte sich die Wohnzimmertür geschlossen, machte sie kehrt und sauste durch den Küchenflur.
    „Mrs. Jilkes!“
    „Wieder zurück?“
    „Ist ein Anruf gekommen?“
    „Ja, das Telefon hat zwei-, dreimal geläutet, aber Ihre Mutter hat abgenommen.“
    „Mutter?“
    „Ja, sie hat sich den Apparat ins Wohnzimmer umstellen lassen. Sie müssen sie fragen, ob jemand für Sie angerufen hat.“
    Virginia ging aus der Küche, über den Flur zurück, durch die Diele und ins Wohnzimmer. Über Alice Lingards Kopf hinweg suchten ihre Augen den Blick ihrer Mutter und hielten ihn fest. Mrs. Parsons lächelte.
    „Liebling! Ich habe schon alles gehört. War es lustig?“
    „Ganz nett.“ Sie wartete, um ihrer Mutter die Möglichkeit zu geben, ihr auszurichten, daß ein Anruf für sie gekommen war.
    „Ganz nett? Mehr nicht? Soviel ich weiß, war Mrs. Menheniots Neffe da?“
    „...Ja.“
    Schon war das Bild des kinnlosen jungen Mannes so verschwommen, daß sie sich kaum an sein Gesicht erinnern konnte. Vielleicht würde Eustace morgen anrufen. Er konnte heute nicht angerufen haben. Virginia kannte ihre Mutter. Sie wußte, daß Mrs. Parsons trotz aller Mißbilligung solchen Verpflichtungen wie dem Ausrichten von Telefonanrufen äußerst korrekt nachkam. Mütter waren so. Sie mußten so sein. Denn wenn sie sich in ihrem Leben nicht nach dem Verhaltenskodex richten würden, den sie predigten, hätten sie jedes Recht auf das Vertrauen ihrer Kinder verloren. Und ohne Vertrauen konnte es keine Zuneigung geben. Und wo keine Zuneigung war, da war nichts.
    Am nächsten Tag regnete es. Den ganzen Vormittag. Virginia saß in der Diele am Kamin, tat, als lese sie ein Buch, und stürzte jedesmal ans Telefon, wenn es klingelte. Es war nie für sie, es war nie Eustace.
    Nach dem Mittagessen bat ihre Mutter sie, nach Porthkerris zur Apotheke zu gehen und ein Rezept einzulösen. Virginia sagte, sie wolle nicht gehen.
    „... es gießt in Strömen.“
    „Ein bißchen Regen wird dir nicht schaden. Und die Bewegung tut dir gut. Du hast den ganzen Tag im Haus gesessen und dieses alberne Buch gelesen.“
    „Es ist kein albernes Buch.“
    „Egal, aber du hast gelesen. Zieh dir Gummistiefel und einen Regenmantel an, dann merkst du den Regen gar nicht...“
    Widerspruch war sinnlos. Mit resignierter Miene holte Virginia ihren Regenmantel. Als sie auf dem Bürgersteig, der dunkelgrau war unter den tropfenden Bäumen, zur Stadt stapfte, versuchte sie sich das Undenkbare vorzustellen, daß Eustace sie nie anrufen würde.
    Er hatte gesagt, er würde ganz bestimmt anrufen, aber alles hing wohl davon ab, was seine Mutter sagte, wann sie Zeit hatte, wann Virginia sich das Auto borgen und nach Lanyon fahren konnte.
    Vielleicht hatte Mrs. Philips es sich anders überlegt. Vielleicht hatte sie gesagt: „Also wirklich, Eustace, ich habe keine Zeit für Teegesellschaften... was hast du dir dabei gedacht, als du ihr sagtest, sie kann hierherkommen?“
    Vielleicht hatte aber auch Eustace es sich anders überlegt, nachdem er Virginias Mutter begegnet war. Es hieß ja, wenn man wissen wollte, wie ein Mädchen später als Frau sein würde, brauche man nur ihre Mutter anzusehen. Vielleicht hatte Eustace nicht gefallen, was er sah. Sie erinnerte sich an den Trotz in seinen blauen Augen und an die bitteren letzten Sätze.
    „Ich möchte Sie nicht von der Arbeit abhalten.“
    „Das würde ich auch nicht zulassen.“
    Vielleicht hatte er vergessen anzurufen. Vielleicht hatte er es sich reiflich überlegt. Oder vielleicht - und das war entmutigend - hatte Virginia seine Freundlichkeit mißdeutet, alle ihre Probleme auf ihn abgewälzt und sein Mitgefühl erregt. Vielleicht war das alles.

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