Sommer am Meer
Sie tat ihm nur leid.
Aber er hat gesagt, er würde anrufen. Er hat es gesagt.
Sie löste das Rezept ein und machte sich wieder auf den Heimweg. Es regnete immer noch. Gegenüber der Apotheke, auf der anderen Straßenseite, stand eine Telefonzelle. Sie war leer. Es wäre ganz einfach. Es würde keine Minute dauern, seine Nummer herauszusuchen und zu wählen. Sie hatte ihr Portemonnaie in der Tasche, mit Kleingeld für das Gespräch. Ich bin's, Virginia, würde sie sagen, in scherzhaftem Ton, und ihn aufziehen. Ich dachte, du wolltest mich anrufen!
Sie stellte sich das Gespräch vor.
„Eustace ?“
„Ja?“
„Ich bin's, Virginia.“
„Virginia?“
„Virginia Parsons.“
„Ach ja, Virginia Parsons. Was willst du?“
Doch an dieser Stelle verließ sie der Mut, und Virginia überquerte nicht die Straße zur Telefonzelle, sondern ging den Hügel hinauf, den Regen im Gesicht und die Tabletten für ihre Mutter in der Tasche ihres Regenmantels.
Als sie zur Haustür hereinkam, hörte sie das Telefon klingeln, doch bis sie die Gummistiefel ausgezogen hatte, war es verstummt, und als sie ins Wohnzimmer kam, legte ihre Mutter gerade den Hörer auf.
Sie hob die Augenbrauen, als sie ihre atemlose Tochter erblickte.
„Was ist mit dir?“
„Ich... ich dachte, es könnte für mich sein.“
„Nein. Da hatte sich jemand verwählt. Hast du meine Tabletten, Schätzchen?“
„Ja“, sagte Virginia matt.
„Lieb von dir. Und der Spaziergang hat dir gutgetan, das sehe ich dir an. Du hast wieder ganz rote Backen.“
Am nächsten Tag verkündete Mrs. Parsons aus heiterem Himmel, sie müßten nach London zurück. Alice war erstaunt. „Aber Rowena, ich dachte, ihr würdet noch mindestens eine Woche bleiben.“
„Mein Herz, wir würden liebend gerne noch bleiben, aber du weißt ja, wir haben einen aufregenden Sommer vor uns, und es gibt eine Menge zu organisieren. Wir können unmöglich noch eine Woche hier herumsitzen und uns amüsieren, so gern ich es möchte.“
„Dann bleib wenigstens noch übers Wochenende.“
Ja, bleib übers Wochenende, betete Virginia. Bitte, bitte, bitte, bleib übers Wochenende.
.Aber es nützte nichts. „Oh, nur zu gerne, aber wir müssen nach Hause... spätestens Freitag, leider. Ich muß gleich Plätze im Zug reservieren.“
„Wie schade, aber wenn es dir wirklich ernst ist...“
„Ja, mein Herz, es ist mir wirklich ernst.“
Mach, daß er sich erinnert. Mach, daß er anruft. Es bleibt mir keine Zeit mehr, nach Penfolda zu fahren, aber ich könnte ihm wenigstens auf Wiedersehen sagen, ich würde wissen, daß es ihm ernst war... vielleicht kann ich sagen, daß ich ihm schreibe, vielleicht kann ich ihm meine Adresse geben.
„Liebes, du solltest deine Sachen packen. Laß nichts liegen, es wäre lästig für die arme Alice, ein Päckchen hinterherschicken zu müssen. Vergiß deinen Regenmantel nicht.“
Heute abend. Heute abend ruft er an. Er wird sagen, tut mir leid, aber ich bin weggewesen; ich hatte so viel zu tun, daß ich keine Minute Zeit hatte; ich war krank.
„Virginia! Komm, trag dich ins Gästebuch ein! Hier, unter meinem Namen. O Alice, meine Liebe, es waren herrliche Ferien bei euch. Die reine Wonne. Wir haben es beide sehr genossen, nicht wahr, Virginia? Schade, daß wir wegmüssen.“
Sie reisten ab. Alice fuhr sie zum Bahnhof, begleitete sie bis zu ihrem Erster-Klasse-Abteil, wo die Eckplätze für sie reserviert waren. Der Gepäckträger wurde angesichts von Mrs. Parsons' teurem Reisegepäck ganz ehrerbietig.
„Komm bald wieder“, sagte Alice, als Virginia sich aus dem Fenster beugte, um ihr einen Kuß zu geben.
„Ja.“
„Es war schön, dich bei uns zu haben.“
Es war die letzte Chance. Sag Eustace, ich mußte weg. Sag ihm für mich Lebewohl. Die Pfeife schrillte, der Zug setzte sich in Bewegung. Ruf ihn an, wenn du nach Hause kommst.
„Auf Wiedersehen, Virginia.“
Grüß ihn von mir. Sag ihm, ich liebe ihn.
Bis Truro war ihr Jammer so offensichtlich, mit Schniefen und Schluchzen und Tränen, daß ihre Mutter es nicht mehr übersehen konnte.
„Oh, Liebes.“ Sie legte ihre Zeitung hin. „Was fehlt dir?“
„Nichts.“ Virginia stand mit verquollenem Gesicht am Fenster, ohne etwas zu sehen.
„Aber dir fehlt doch etwas.“ Sie legte ihre Hand sachte auf Virginias Knie. „War es dieser junge Mann?“
„Welcher junge Mann?“
„Der junge Mann in dem Landrover, Eustace Philips? Hat er dir das Herz gebrochen?“ Virginia konnte vor
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