Sommer am Meer
Und auch keinen Kamm und Lippenstift, Kekse oder Strickzeug, keine Thermosflasche mit Tee, keine Strickjacke. Weder Rosinenkuchen noch Schokoladenplätzchen, kein Geld zum Ponyreiten oder für den Eismann.
Schließlich kam Cara mit klappernden Zähnen zu ihr. Virginia hüllte sie in ein Handtuch und trocknete sie sachte ab. „Wenn du so weiter machst, kannst du bald prima schwimmen.“
„Wie spät ist es?“ fragte Cara.
Ihre Mutter blinzelte in die Sonne. „Ich schätze, bald fünf... ich weiß es nicht.“
„Wir haben noch nicht Tee getrunken.“
„Nein, und ich glaube, es gibt auch keinen.“
„Keinen Tee?“
„Nur heute, ist doch nicht so schlimm. Nachher gibt's Abendessen.“
Cara zog ein Gesicht, erhob aber keine Einwände. Nicholas dagegen brüllte lautstark, als er feststellen mußte, daß Virginia nichts zu essen mitgenommen hatte.
„Ich hab aber Hunger.“
„Es tut mir leid.“
„Nanny hatte immer Knabberzeug dabei, und du hast nichts.“
„Ich hab's vergessen. Wir hatten es so eilig, und da hab ich nicht an Kekse gedacht.“
„Und was soll ich jetzt essen?“
Eustace schnappte diese letzten Worte auf, als er triefend über den Strand kam. „Was ist los?“ Er bückte sich nach einem Handtuch.
„Ich hab solchen Hunger, und Mami hat nichts zu essen mitgenommen.“
„Wie schrecklich“, sagte Eustace ohne Mitgefühl. Nicholas bedachte ihn mit einem langen, vernichtenden Blick, drehte sich um, wollte still schmollend wieder zu seiner Burg. Doch Eustace faßte seinen Arm, zog ihn sachte zurück, drückte ihn an seine Knie und rieb ihn zerstreut mit dem Handtuch ab, ganz so, als ob er einen Hund streichelte. Virginia sagte beschwichtigend: „Ich glaube, wir müssen sowieso bald gehen.“
„Warum?“ fragte Eustace.
„Ich dachte, du müßtest die vielen Kühe melken.“
„Das macht Bert.“
„Bert?“
„Er war heute in Penfolda, die Boxen ausmisten.“
„Ah, ja.“
„Er hat früher bei meinem Vater gearbeitet, jetzt hat er sich zur Ruhe gesetzt, aber er kommt jeden zweiten Sonntag und geht mir zur Hand. Er tut es gern, Mrs. Thomas gibt ihm was Gutes zu essen, und ich habe ein paar Stunden für mich.“
Nicholas ärgerte sich über das sinnlose Geplauder. Er zappelte in Eustace' Händen, sah ihn wütend an. „Ich hab Hunger.“
Ich auch“, sagte Cara wehmütig, wenn auch nicht ganz so vehement.
„Hört mal“, sagte Eustace.
Die Kinder spitzten die Ohren. Über den Lärm des Meeres und der Möwen hinweg hörten sie ein anderes Geräusch. Das leise Tuckern eines Motors, das immer näher kam.
„Was ist das?“
„Wart's nur ab.“
Das Geräusch wurde lauter. Bald sahen sie ein kleines offenes Boot um die Landspitze biegen und sich nähern, weiß mit einem blauen Streifen, das in einem weißen Gischtnebel auf den Wellen ritt. Eine gedrungene Gestalt stand am Heck. Langsam schwenkte es in die geschützte Bucht, der Motor erstarb zu einem steten Pochen...
„Na also!“ sagte Eustace, zufrieden wie ein Zauberer, dem ein schwieriger Trick gelungen war.
„Wer ist das?“ fragte Virginia.
„Das ist Tommy Bassett aus Porthkerris. Er kommt seine Hummerkörbe einsammeln.“
„Aber er hat bestimmt keine Kekse“, sagte Nicholas, der sich nicht so leicht ablenken ließ.
„Nein. Aber vielleicht etwas anderes. Soll ich mal nachsehen?“
„O ja.“ Es klang zweifelnd.
Eustace ließ Nicholas los, ging über den Sand und watete ins Wasser, tauchte mitten durch eine pfauengrüne Welle und kraulte mit kräftigen, gleichmäßigen Zügen weit hinaus zu dem schaukelnden Boot. Die Hummerkörbe wurden schon an Bord gehievt. Die Fischer leerten einen und warfen ihn zurück, dann sahen sie Eustace kommen, blieben stehen und sahen ihm zu.
„He, Junge!“ Seine Stimme wurde auf dem Wasser bis zu ihnen getragen.
Sie sahen Eustace mit den Händen die Dollborde fassen, einen Moment dort hängen, sich dann kräftig abstoßen und aus dem Wasser in das schaukelnde Boot stemmen.
„Ist der aber weit geschwommen“, sagte Cara.
Nicholas sagte: „Hoffentlich bringt er keinen Hummer mit.“
„Warum nicht?“
„Weil Hummer Scheren haben.“
Im Boot war offensichtlich eine Unterhaltung im Gange. Doch schließlich stand Eustace auf, und sie sahen, daß er so etwas wie ein Bündel trug. Er kletterte von Bord und schwamm zurück, langsamer diesmal, von seinem geheimnisvollen Bündel behindert. Dieses entpuppte sich wahrhaftig als ein Einkaufsnetz, naß und triefend, und es
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