Sommer am Meer
Dazwischen waren ebene, grüne Grasnarben, mit lila Heidekraut gefleckt, und als die vier den Windungen des Pfades zwischen den Gesteinsbrocken folgten, tat sich nach und nach weit unten eine kleine, geschützte Bucht auf. Über den Felsen war die See purpurn und über dem Sand jadegrün. Der schmale Strand war von den Resten eines alten Deiches begrenzt. Dahinter stieg der Hang bis zum grünen Klippenrand an, von dem ein Süßwasserbach in kleinen Kaskaden herabstürzte. Und oberhalb des Deiches schmiegten sich die Reste einer verfallenen Hütte an den Fuß der Klippe, mit zerbrochenen Fensterscheiben und fehlenden Dachziegeln.
Die vier stellten sich in der sanften Brise nebeneinander und blickten hinunter. Es war ein verwirrendes Gefühl. Virginia fragte sich, ob die Kinder Angst bekämen, aber keines von beiden schien die schwindelerregende Höhe zu beunruhigen.
„Da ist ein Haus“, sagte Cara.
„Da hat Jack Carley gewohnt.“
„Wo wohnt er jetzt?“
„Bei den Engeln, nehme ich an.“
„Hast du ihn gekannt?“
„Ja. Er war schon ein alter Mann, als ich ein kleiner Junge war. Er hatte es nicht gern, wenn Leute hierherkamen. Erwachsene Leute. Er hatte einen großen Hund, der hat gebellt und sie weggejagt.“
„Aber du durftest kommen?“
„O ja.“ Eustace grinste Nicholas an. „Soll ich dich tragen, oder schaffst du es allein?“
Nicholas spähte über den Klippenrand. Der Pfad verlor sich unter ihm aus dem Blickfeld. Nicholas ließ sich nicht abschrecken.
„Nein, ich will nicht getragen werden. Aber geh du lieber vor.“
Vorneweg aber gingen die Hunde, furchtlos, sicher auf den Beinen wie Ziegen. Die Menschen folgten in behutsamerem Tempo, doch Virginia stellte fest, daß der Weg nicht so gefährlich war, wie er aussah. Der Boden unter den Füßen war hart, und an steilen Stellen hatte man Stufen gebaut, die mit Treibholz unterlegt oder einfach aus Zement gegossen waren.
Viel schneller als erwartet kamen sie heil unten an. Über ihnen ragte die Klippe dunkel und kalt im Schatten auf, doch als sie zum Strand hinunterhüpften und wieder in die Sonne kamen, war der Sand warm, und von dem Häuschen ging ein Teergeruch aus. Es war nichts zu hören außer den Möwen und das schäumende Meer und das Plätschern des Baches.
Die kleine Bucht hatte etwas Unwirkliches, als seien sie Zeit und Raum entrückt. Die Luft war still, die Sonne brannte, der Sand war weiß und das grüne Wasser glasklar. Die Kinder zogen sich aus und gingen mit Nicholas' Eimer und Schaufel gleich ans Wasser, wo sie sich daranmachten, eine mit Gräben und eimerförmigen Türmen bewehrte Sandburg zu bauen.
„Wenn die Flut kommt, spült sie die ganze Burg weg“, sagte Cara.
„Nein, tut sie nicht, weil wir nämlich einen ganz ganz tiefen Graben machen, und dann geht das Wasser da rein.“
„Wenn die Flut höher ist als die Burg, spült sie sie weg.“
Nicholas überlegte. „Ja, aber das dauert eine Ewigkeit.“ Dies war ein Tag, den sie ihr Leben lang nicht vergessen würden. Virginia stellte sich ihre erwachsenen Kinder vor, wie sie sich sehnsüchtig zurückerinnerten.
Es gab dort eine kleine Bucht und eine verfallene Hütte und keine Menschenseele, nur wir und zwei Hunde, und wir mußten einen selbstmörderischen Weg hinunterklettern.
Wer ist mit uns gegangen ?
Eustace Philips.
Aber wer war das?
Das weiß ich nicht mehr... er muß Bauer gewesen sein, jemand aus der Nachbarschaft.
Und sie würden sich über Kleinigkeiten streiten.
Dort floß ein Bach.
Nein, das war ein Wasserfall.
Quer über den Strandfloß ein Bach von oben herunter. Ich kann mich ganz deutlich erinnern. Und wir haben ihn mit einer Sandbank gestaut.
Einen Wasserfall gab's. Und ich hatte eine neue Schaufel.
Als Flut war, gingen sie alle schwimmen. Das Wasser war klar, salzig und grün und sehr kalt. Virginia hatte ihre Bademütze vergessen, ihre dunklen Haare lagen glatt am Kopf an. Ihr Schatten bewegte sich wie eine seltsame neue Fischart über den steinigen Meeresgrund. Cara im Arm, trieb sie zwischen See und Himmel, die Augen von Wasser und Sonnenschein geblendet. Die Luft war vom Kreischen der Möwen und von dem steten Murmeln der sanften Brandung erfüllt.
Ihr wurde kalt. Die Kinder jedoch zeigten keinerlei Anzeichen von Frösteln, daher ließ sie sie bei Eustace, ging aus dem Wasser und setzte sich in den trockenen Sand.
Sie mußte sich direkt in den Sand setzen, weil sie weder Matten noch übergroße Badetücher mitgebracht hatten.
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