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Sommer der Entscheidung

Sommer der Entscheidung

Titel: Sommer der Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emilie Richards
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Holzschrank an der gegenüberliegenden Wand zu öffnen. Sie kam mit drei Quilts zurück und legte die unteren beiden auf das Bett. Den oberen faltete sie auseinander und legte ihn über das Fußende.
    Nancy stand auf, um besser sehen zu können. „Mein Gott, Mama, die ganze Arbeit, die das gekostet haben muss!Ist das ein Baltimore Album?“
    „Was verstehst du denn schon vom Baltimore Album?“
    „Ich war vor Jahren einmal in einer Quilt-Ausstellung im Virginia Museum of Fine Arts. Erinnerst du dich? Ich wollte gern, dass du mitkommst, aber du sagtest, du würdest eher nach Richmond im Sarg als mit dem Zug kommen.“
    Einen Moment lang war Helen still. Dann schüttelte sie den Kopf. „So habe ich das nicht gesagt.“ Sie holte Atem. „Oder?“
    „Du hast gedacht, ich wollte dich entführen.“
    „Stimmt nicht!“ Helen hielt wieder inne. „Ich nehme an, ich hatte Angst, dass du dich wegen mir schämen würdest.“
    Nancy hatte das Helen suggeriert. Sie wusste, dass Helen es sagen würde. Das gestand sie sich selbst ein, bevor sie explodierte: „Du bist meine Mutter! Wenn ich so oberflächlich wäre, hättest du mich gleich nach der Geburt ertränken sollen.“
    „Manchmal habe ich mir gewünscht, ich hätte es getan.“
    Die beiden Frauen sahen einander an und brachen dann in Gelächter aus. Nancy hakte sich bei Helen ein. „Es wäre mir nicht peinlich gewesen, wenn du mit ins Museum gekommen wärest. Aber ich hätte dir zu diesem Anlass ein neues Kleid gekauft.“
    „Ich hätte eines gebrauchen können, nehme ich an. Aber hier gibt es niemanden, für den es sich lohnt, sich schick zu machen.“
    Nancy umarmte sie noch kräftiger. „Wird es dir hier nicht manchmal zu einsam, Mama?“
    „Ich bin es gewöhnt.“
    „Ich vermisse dich, wenn ich in Richmond bin. Ich denke viel an dich, und dann wünsche ich mir, dass wir näher beieinander wohnen würden.“
    „Ich ziehe nicht in dieses Dorf für Rentner. Das kannstdu dir sofort aus dem Kopf schlagen.“
    „Ich weiß.“
    Sie standen weiter einander umschlingend da und sahen sich den Quilt an, bis Nancy endlich wieder sprach. „Aber es ist ein Baltimore Album, oder?“
    „Es ist kein Baltimore, es ist ein Shenandoah Album, und ich habe mir das Muster und den Namen dafür selbst ausgedacht. Das Muster ist an die alte Fraktur angelehnt, die du oben schon in der einen alten Truhe auf dem Boden gefunden hattest.“
    Fraktur war eine alte, geschnörkelte Schrift, die aus Deutschland stammte und die die frühen Siedler über Pennsylvania ins Shenandoah-Tal mitgebracht hatten. Die Schrift war unter anderem dazu genutzt worden, Geburtsanzeigen und Taufurkunden zu dekorieren.
    Der Quilt bestand aus exquisiten Rechtecken. Jedes der zwanzig Teile war anders. Nancy erkannte Vögel und Bäume, Engel, Blumen und einen rennenden Hirsch. Sie starrte die Decke an; es war unglaublich, dass diese feinen Bilder aus Stoffresten gemacht waren!
    „Mama, das gehört ins Museum.“
    „Ts …“ Helen lachte. „Es ist nur der Zeitvertreib einer alten Frau.“
    „Es ist nicht zu glauben. Wie lange hast du dafür gebraucht?“
    „Zu lange. Ich hätte in derselben Zeit fünfzig Quilts nähen können – das hätte ich auch tun sollen. Meine Mutter hätte gesagt, ich hätte meinen Verstand völlig verloren. Quilts werden gemacht, um sie als Decken zu benutzen.“
    Nancy kannte ein Dutzend oder mehr Quilts, die Delilah genäht hatte und die Helen aufbewahrte. Sie schätzte sie, denn ihre Großmutter hatte sie gemacht, die sie nie kennengelernt hatte. Aber Delilahs Quilts waren schlicht und nützlich.Helens waren etwas ganz anderes.
    „Mama, du bist eine Künstlerin.“
    „Bin ich überhaupt nicht. Ich bin nur eine alte Frau, die sich langweilt und die nichts mit sich anzufangen weiß, da sie nicht mehr so viel auf dem Feld und im Garten arbeiten kann.“
    „Warum hast du diesen Quilt nicht auf dem Kunstmarkt ausgestellt? Oder bei einem Quilt-Wettbewerb?“
    „Ich nähe einfach Quilts. Das ist alles. Mehr kann man hier auf dem Lande ja nicht tun.“
    Nancy war von der Schüchternheit und der Unsicherheit ihrer Mutter überrascht. Aber dahinter lag noch ein anderer Ton in Helens Stimme, so etwas wie Stolz und Freude darüber, dass ihre Tochter den Quilt, der seiner Erschafferin offensichtlich so viel Spaß gebracht hatte, herausragend fand.
    „Ich kann dich nicht umstimmen, oder?“, fragte Nancy. „Es muss eine Ausstellung hier in der Umgebung geben, die diesen Quilt zeigen

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