Sommer der Entscheidung
zusammenbleiben müssten, um ihre kleine heile Welt zu retten, machte sie der Gedanke an eine Scheidung traurig und belastete sie.
Noch trauriger . Ihre eigene Ehe hing an einem seidenen Faden. Und vielleicht erging es der Ehe ihrer Eltern genauso.
Tessa hoffte, sie bildete sich das alles nur ein. Vielleicht überschattete die Szene mit Mack von gestern Abend alles andere. Sie stand auf und legte das Jahrbuch zurück in die Truhe, als ein Blatt herausfiel und auf dem staubigen Boden landete.
Sie hob das Papier auf, um es ins Buch zurückzulegen, aber hielt stattdessen inne. Es war die Heiratsurkunde von Nancy und Billy. Vielleicht wusste Nancy gar nicht, wo sie war, und vermisste sie schon seit Jahren.
Sie klemmte sich das Schriftstück unter den Arm, um es ihrer Mutter zu geben, als ihr etwas einfiel. Sie starrte esnoch einmal an. Dann ging sie mit dem Blatt in der Hand die Treppe hinunter.
Nancy war mit ihrem Tag zufrieden. Sie und Helen hatten sich ein Dutzend Quilts angesehen, und schließlich lachten sie gemeinsam und erzählten wie alte Freunde. Es gab wenig, über das sich die beiden Frauen austauschen konnten, aber Quilts war ihrer beider Leidenschaft. Als Nancy Helen nach der Geschichte jeder einzelnen Decke gefragt hatte, bat ihre Mutter sie um ihr Urteil. Aufmerksam hörte sie zu, was Nancy ihr zu sagen hatte, ja sogar bei der negativen Kritik lauschte sie interessiert. Sie hatten sich über Muster, Farben, Größen unterhalten. Als Helen allmählich müde wurde, fühlte sich Nancy ihrer Mutter so nah wie seit Jahren nicht mehr.
Jetzt stand sie in der Getreidescheune und sah einem schlanken jungen Mann, dessen Hüften so schmal waren, dass seine Jeans herunterzurutschen drohten, dabei zu, wie er sich an den rostigen, von Spinnweben bedeckten Maschinenteilen zu schaffen machte.
Nach einigen Momenten drehte er sich von der rückwärtigen Wand her zu ihr um. „Ich sag es ja nicht gerne, Mrs. Whitlock, aber ich glaube, ich habe schon neuere Traktoren im Museum gesehen. Außerdem ist hier mehr Rost auf einem Haufen versammelt als in Detroit, alle Autofabriken zusammengenommen.“
Nancy musste lächeln. Zeke Claiborne war nicht so, wie sie sich ihn vorgestellt hatte. Er hatte einen drolligen Humor, und er war intelligent. Zwar war er nicht besonders ansehnlich, aber mit einigen Pfunden mehr und ohne das mickrige Ziegenbärtchen wäre er ganz beachtenswert gewesen. Auf Grund der Tatsache, dass er mit Cissy ein Kind haben würde und dass sie nicht verheiratet waren, hatte Nancy zunächstangenommen, er gehöre zur weißen Unterschicht. Aber nun war sie eines Besseren belehrt worden.
„Ich hatte einen Antiquitätenhändler herbestellt, damit er sich die alten Maschinen ansieht“, erzählte sie ihm, „aber er sagte mir, dass wohl niemand an den alten Sachen Interesse haben könnte.“
„Wir können diesen hier nach draußen schleppen und soweit es geht den Rost abklopfen, dann können Ihre Enkel darauf spielen.“
Nancys Herz zog sich zusammen. „Ich habe keine Enkel, leider.“
„Wie schade.“ Er legte einen schmalen, zierlichen Finger an seine Wange. Dann grinste er. „Wissen Sie was? Sie können das Ding als Blumenständer benutzen. Hier könnten Sie einen Topf draufstellen, oder hier …“ Er deutete auf die Maschine.
Sie lächelte auch. „Ich glaube, du musst den Traktor einfach rausschleppen, Zeke. Dir ist klar, dass wir dich dafür bezahlen werden, oder? Wir erwarten wirklich nicht von dir, dass du das umsonst tust.“
„Nein, Ma’am. Ist schon gut. Es ist mir eine Freude, zu helfen, wenn ich es kann. Sie und Ihre Mutter waren so nett zu Cissy. Sie redet die ganze Zeit von Ihnen. Ich bin froh, wenn ich etwas zurückgeben kann.“
Nancy hörte hinter sich Stroh rascheln und drehte sich um. Tessa kam in die Scheune. Sie trug kurze grüne Hosen und ein Strickoberteil, das ihre braunen Arme und Schultern freiließ. Sie hatte die Haare zu einem Zopf geflochten, der sich im Rhythmus ihrer Schritte leicht bewegte.
„Tessa, hast du Zeke schon kennengelernt? Er kommt und ist dann immer so schnell verschwunden, dass man ihn kaum erwischt.“
„Nein.“ Tessa stellte sich neben ihre Mutter und sah denJungen an, als klebe sein Bild an der Wand eines Postamtes. „Hallo Zeke. Ich bin Tessa MacRae.“
„Tach’ Miss MacRae. Cissy hat mir schon viel von Ihnen erzählt.“
„Da gibt es eigentlich nicht viel zu erzählen.“
„Sie hat mir von dem Buch erzählt, das Sie ihr geliehen haben.
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