Sommer der Entscheidung
will.“
„Ich gehe nicht zu Quilt-Ausstellungen, und ich gehe auch nicht zu Quilt-Treffen. Ich quilte einfach. Punkt. Es interessiert mich nicht, ob einer dieser Quilts jemals das Tageslicht sieht oder nicht.“
Nancy hörte, was Helen sagte, aber sie wusste auch, dass sie es nicht so meinte. Helen war sich nicht sicher, ob ihre Arbeit gut genug war. Niemals hätte sie von sich aus einen ihrer Quilts bei einer Show ausgestellt.
„Sind die anderen auch so spektakulär wie dieser?“, wollte Nancy in einem möglichst beiläufigen Ton wissen.
„Spektakulär ist ein Wort, das zehn Dollar kostet und keinen Cent wert ist.“
„Mama …“
„Ich habe noch ein paar, für die ich mich nicht zu schämen brauche. Nichts Besonderes, aber ich finde sie schön.“
„Dann zeig sie mir“, forderte Nancy sie auf. „Und erzähl mir davon, wie du sie gemacht hast.“
Während Helen das Shenandoah Album zusammenlegte, fragte Nancy sich, was Billy wohl davon hielt, wenn er das beste Werk ihrer Mutter zu sehen bekam. Würde er, der als Kunstsammler besonders in abstrakten Impressionisten bewandert war, denken, dass die Decken nichts anderes waren als primitives Kunsthandwerk einer alten Frau vom Lande? Oder würde er die Quilts als einen Teil einer langen Reihe von Werken von Künstlerinnen einschätzen, die Jahrhunderte in die Vergangenheit reichte? Frauen, die das verwendeten, was gerade da war, um ihre bescheidenen Häuser gemütlicher und hübscher zu machen? Und war es ihr wirklich wichtig, was Billy dachte? War es letztendlich nicht wichtiger, was sie gern mochte? Und war es nicht an der Zeit, dass sie endlich diesen Unterschied verstand?
Am liebsten mochte Tessa es, oben auf dem Dachboden aufzuräumen. In den anderen Teilen des Hauses Ordnung zu schaffen fand sie meistens langweilig. Sie mussten die ganze Zeit Helens Sammlungen von Müll durchgehen, den sie von der Straße gerettet hatte. Dazu gehörten auch Massen von Papieren und Zeitungen, die Helen gehortet, aber nie einmal gründlich angesehen hatte.
Tessa hatte für sich so etwas wie einen Stundenplan entwickelt. Hausarbeit und Reparaturen gemeinsam mit Nancy am Morgen, wenn es noch kühl war, Aussortieren und Wegwerfen, wenn es am heißesten war. Die Ausflüge auf den Dachboden machte sie immer dann, wenn es am Nachmittag und frühen Abend schon kühler wurde und die Temperaturen unter dem Dach erträglich waren.
In ihrer Vorstellung war der Dachboden so etwas wie ein Dessert. Hier oben hatte sie in vielen Stunden einen ganzenSchatz mit Stoneburner-Erinnerungsstücken gehoben, dazu gehörte nicht nur der Wedding-Ring-Quilt. Es gab Damenhüte und Herrenhosenträger und Westen. Gesangbücher, die die Form einer Note hatten, und verblichene Wildrosen, die zwischen Glasscheiben gepresst waren. Eine zerschlissene Fahne der Konföderation, die so aussah, als hätte sie mehr als einen Bürgerkrieg mitgemacht. Postkarten aus dem neunzehnten Jahrhundert aus Natural Bridge und Virginia Beach. Eine pingelig ausgeführte Liste von Ausgaben für die Farm, deren braune Tinte schon ganz verblasst war. Daneben Aufzeichnungen über Getreide und Vieh.
Heute Nachmittag war Tessa froh, dass sie etwas Interessantes gefunden hatte, mit dem sie ihre Zeit gut herumbringen konnte. Das gestrige Treffen mit Mack hatte sie den ganzen Morgen beschäftigt, als sie sich durch einen Haufen schwarzer Plastiktüten im Gästezimmer hindurcharbeitete. Ihre geistigen Kapazitäten reichten mehr als aus, um zerschlissene Tischwäsche und Geschirrtücher auszusortieren. Jedenfalls konnte sie diese Tätigkeit nicht von ihren Gedanken daran ablenken, wie sie Mack mit beiden Händen von sich fortgeschoben hatte. Wahrscheinlich hatte sie ihn so weit fortbewegt, damit er nur mit Schwierigkeiten wieder zu ihr zurückfinden konnte. Wenn sie ihm aber entgegenkommen würde, würde sie sich selbst verleugnen.
Der Dachboden bot eine größere Herausforderung als das Gästezimmer. Sie vergaß die wütenden Sätze von gestern Abend, als sie sich an die Truhe mit Nancys Schulheften machte. Nachdem sie ein oder zwei Schichten von Klassenarbeiten und erstaunlich gut gegliederten Aufsätzen abgetragen hatte, stieß sie auf das Jahrbuch ihrer Mutter in der elften Klasse, in dem jeder Schüler und Lehrer mit einem Foto aufgeführt und jede Sportmannschaft sowie andere Arbeitsgemeinschaften dokumentiert waren. Sie hockte sich hinund blätterte es durch.
Obwohl ihre Mutter sie schon gewarnt hatte, war Tessa
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