Sommer der Entscheidung
letztens gesprochen hast. Wir können Gram etwas von dort mitbringen.“
Nancy war gerührt. „Na ja, das wäre schön. Du wirst es dort mögen.“
Sie fuhren in das Städtchen und suchten sich in dem Restaurant einen Tisch am Fenster.
„Wie siehst du das, Mom?“ Tessa sah auf. „Denkst du, ich habe den Tod von Kayley überwunden?“
Sie musste ihre Frage nicht weiter erläutern. Nancys Gesichtsausdruck machte deutlich, dass sie wusste, von was die Rede war. „Willst du die Wahrheit?“
Tessa wartete darauf, dass Nancy weitersprach. Aber zum ersten Mal in ihrem Leben entschied sich Nancy dafür, zu schweigen.
„Mack sieht das so wie du“, gab Tessa schließlich zu. „Wir sind nahe dran, uns scheiden zu lassen.“ Sie machte sich nicht die Mühe, weiter ins Detail zu gehen. Sie war sich sicher, dass Nancy Bescheid wusste.
„Willst du das?“
Tessa war sich nicht sicher. Aber sie wusste, dass Mack recht hatte, als er die Nacht zuvor davon gesprochen hatte, dass sie ihn dorthin getrieben hatte, wo er jetzt stand. Die ganze letzte Nacht hindurch hatte sie darüber nachgedacht. Sie wusste, dass Mack in dieser Hinsicht richtig lag.
„Mack sagt, vielleicht komme ich mit Kayleys Tod solange nicht zurecht, bis alle Dinge, die mich an sie erinnern, verschwunden sind. Und das gilt auch für ihn.“
„Ich nehme an, er wollte von dir hören, dass das nicht stimmt.“
Tessa sah von ihrem Teller auf. „Ich habe es nicht bestritten.“
„Es gibt keinen besseren Mann als Andrew MacRae. Die Alternative zu ihm ist allein zu leben, weil niemand an ihn heranreichen wird.“
„Ich habe letztens noch einmal an die Geschichte denken müssen, wie du Daddy kennengelernt hast. Du musst ziemlich schnell schwanger geworden sein.“
„Ich war ein Mädchen vom Lande. Ich hätte es besser wissen sollen. Leider zeigen einem die Tiere auf dem Bauernhof nicht, wie man Kondome benutzt, und dein Dad wusste es auch nicht.“
Tessa lachte wider Willen. „Er hätte es aber wissen müssen.“
„Sagen wir, er war ein bisschen abgelenkt.“
„Wie war das? Ich meine nicht, dass ihr abgelenkt wart, aber dass du schwanger warst, ohne verheiratet zu sein. Und so jung. Und ich will nicht die Saubermannversion. Vielleicht ist es gut für mich zu hören, wie man schwierige Zeiten überwindet.“ Tessa sagte es leicht dahin, aber sie wusste, wie viel Wahres hinter ihrem letzten Satz steckte.
„Bist du sicher, dass du es wirklich wissen willst? Die Geschichte zeigt nicht unsere besten Seiten. Von uns beiden nicht.“
„Ich glaube, ich möchte wissen, wie es wirklich war.“ Tessa spielte mit den Krümeln auf ihrem Teller. „Du hast es schließlich durchgemacht.“
„Mehr oder weniger. Und du warst unsere Belohnung. Es war gleichgültig, was uns später passiert ist, wir haben nie bereut,dass wir dich hatten.“
Tessa überlegte. „Ich habe es auch nicht bereut, dass ihr euch so entschieden habt.“
„Bis Kayley starb. Dann tat es dir leid, dass du geboren wurdest.“
Tessa musste sich fragen, ob das stimmte. War sie so verbittert? Und warum hatte sie sich niemals zuvor erlaubt, diesen Gedanken zu denken? Sich ihre Reaktionen zu betrachten und sie zu hinterfragen?
Sie stand auf und legte ihre Hände auf ihren schmalen Rücken. „Ich brauche jetzt einen Cappuccino. Soll ich uns welchen bestellen?“
Nancy lächelte ein wenig. „Nein. Ich bleibe hier sitzen und überlege mir, wie ich dir erklären soll, welche Idioten dein Vater und ich vor achtunddreißig Jahren waren, bevor du auf die Welt kamst.“
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22. KAPITEL
August 1964
N ancy hatte sich noch nicht richtig überlegt, was sie aus ihrem Leben machen wollte. Sicher träumte sie viel davon, wie Modelagenturen oder Talentsucher sie zwischen ihren Tomaten und dem Zuckermais entdeckten und ihr lukrative Verträge anboten. Aber sie war klug genug, um zwischen Träumereien und der Wirklichkeit zu unterscheiden. Falls sie besondere Fähigkeiten und Stärken hatte, dann waren sie ihr nicht bewusst. Und hätte sie Dinge gehabt, auf die sie zurückgreifen konnte, von ihrer Intelligenz und ihrem hübschen Gesicht einmal abgesehen, war sie sich darüber auch nicht im Klaren.
Dann trat Billy Whitlock in ihr Leben, und plötzlich schienen Pläne, Stärken und Ressourcen nebensächlich zu sein. Sie hatte Billy für den Sommer, und das reichte ihr an Zukunftsplanung.
Immer noch war sie erstaunt darüber, dass Billy
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