Sommer der Entscheidung
Weile, um sich an diesen neuen Gedanken zu gewöhnen.
Helen schien das zu wissen. Sie streckte den Arm aus und legte ihre Hand auf Nancys. „Und vielleicht wollte ich nur dafür sorgen, dass du nicht den Bodenkontakt verlierst, Nancy. Ich hatte Angst, dass du davonfliegst und mich allein lässt. Vielleicht ist das auch das Traurigste. Wenn es das war, was ich getan habe, dann tut es mir wirklich sehr leid.“
Tessa war sich nicht sicher, wohin Nancy sie fuhr. Sie war vor dem Mittagessen vom Dachboden gekommen. Nancy schien schon mit dem Gesichtsausdruck „Kommando ausführen“ gewartet zu haben. Sie hielt die Autoschlüssel in der Hand.
„Ich möchte nicht darüber reden, dass ich Owens’ Haus bewacht habe“, sagte sie ihrer Mutter, sobald sie im Auto saßen.
„Kein Problem.“ Nancy setzte zurück und fuhr die Fitch Crossing Road hinunter. Sie versuchte nicht, Tessa in eine Plauderei zu verwickeln, und sie fragte auch nichts. Sie fuhr einfach still und ruhig, als würde sie das Panorama genießen.
Tessa konnte das Thema jedoch nicht lassen. „Mack hat mich ertappt. Er hat mir gesagt, du hättest ihm erzählt, wo ich war.“
Nancy bog von der Fitch ab und fuhr gen Norden. „Ich dachte, du wolltest nicht darüber sprechen.“
„Ich wünschte, du hättest ihm nicht gesagt, wo er mich finden würde.“
„Hätte ich lügen sollen?“
Tessa sagte nichts mehr. Sie war mit Kopfschmerzenund einem Kloß im Hals aufgewacht, der vielleicht darauf beruhte, dass ihr zum Heulen zumute war. Aspirin half da nicht.
„Er vermisst dich, Schätzchen“, sagte Nancy. „Und du vermisst ihn auch.“
„Ich brauche keine Analyse.“ Tessa hatte die Worte schneller ausgesprochen, als sie denken konnte. Gleich darauf tat es ihr leid. „Es tut mir leid. Mir geht es heute nicht so gut.“
„Dann lehn dich einfach zurück, schließ die Augen und entspann dich. Wir werden Spaß haben. Ich hoffe, dir gefällt, was ich geplant habe.“
Keine Vorwürfe. Keine Schuldzuweisung. Reine mütterliche Fürsorge. Tessa tat, was ihr gesagt wurde, und als der Wagen anhielt und sie die Augen wieder öffnete, fühlte sie sich tatsächlich ein wenig besser.
„Grams Kirche?“ Sie setzte sich auf und betrachtete das hübsche Gebäude. Einige Teilnehmer des Spätgottesdienstes standen noch davor und schüttelten die Hand des Pastors. Aber während die beiden noch im Auto saßen, verließen auch die letzten Gläubigen das Grundstück.
„Er heißt Sam Kinkade. Er ist ein netter junger Mann und ein guter Prediger“, sagte Nancy. „Heute Morgen sprach er darüber, wie wichtig es sei, sich selbst zu lieben. Er sagte, wir müssen uns erst einmal selbst lieben, bevor wir Gott oder unsere Nachbarn lieben. Darüber sollte man mal nachdenken.“
Mack war nach Kayleys Tod regelmäßig in die Kirche gegangen. Vorher hatten sie nur gelegentlich als Familie den Gottesdienst besucht. Aber sie waren eher ihrer Tochter wegen hingegangen, als dass sie selbst Interesse gehabt hätten. Nun ging Mack, weil er wirklich dort sein wollte. Tessa hatte seitdem keinen Fuß mehr in ein Gotteshaus gesetzt.
„Wir haben einen Termin“, ließ Nancy Tessa wissen.
Einen Augenblick lang fürchtete Tessa, ihre Mutter habesie hierhergebracht, damit sie mit dem Pastor sprach und ihm ihr Herz ausschüttete, um eine Art Absolution zu bekommen. Aber Nancy legte ihre Hand auf Tessas Arm.
„Er macht eine Führung mit uns. Ich habe eine Idee, und vielleicht können wir sie hier umsetzen. Ich möchte eine Ausstellung mit den Quilts deiner Großmutter organisieren. Und ich glaube, das hier wäre ein guter Ort, sie zu zeigen.“ Nancy stieg aus und ging auf die Kirche zu. Tessa war sofort an ihrer Seite.
„Weiß Gram davon?“
Nancy lachte. „Machst du Witze?“
„Soll es eine Überraschung für sie sein?“
„Solange sich niemand verplappert. Dann müssten wir ihr die Augen verbinden und sie in den alten Lieferwagen verfrachten, um sie herzubringen.“
„Aber das ist ja eine wunderbare Idee!“
Nancy hielt an und drehte sich zu ihrer Tochter um. „Wirklich? Ich bin froh, dass du so denkst. Das bedeutet mir viel.“ Der Pastor hatte sie schon gesehen und wartete auf sie.
„Wie bist du auf die Idee gekommen?“
„Deine Großmutter hat in ihrem Leben wenig Anerkennung erfahren. Trotz schlimmster Zeiten hielt sie die Farm am Laufen und in Familienbesitz. Sie hat ihre Tochter ohne fremde Hilfe erzogen, und sie macht diese unglaublichen Quilts, die nicht von
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