Sommer der Entscheidung
etwas zu tun zu haben? Lag der Sinn der sich türmenden, nutzlosen Objekte darin, die schmerzende Leere in ihrem Leben zu füllen, die mit dem Alter und der Einsamkeit gekommen war?
„Wir müssen die Zimmer aufräumen“, sagte Tessa leise. „Du weißt das doch, oder? Das Haus ist nicht mehr sicher, weder für deine Gesundheit noch sonst. Und du brauchst doch Raum, um dich sicher bewegen zu können, ohne zu fallen. Wenn du über etwas stolperst, könntest du dir die Hüfte oder einen Arm brechen.“
Wieder sagte Helen nichts.
„Es wäre am einfachsten, wenn du uns erlaubst, jemanden zu bestellen, der alles abtransportiert“, fügte Tessa hinzu. „Das würde es beschleunigen.“
Endlich kam Leben in Helen: „Hier kommt keiner rein! Und euch will ich hier auch nicht haben!“
Tessa legte vorsichtig ihre Hand auf Helens Schulter.
„Daraus hast du vorhin keinen Hehl gemacht. Ich dachteschon, ich müsste auf der Türschwelle übernachten.“
Helen schnaufte verächtlich. „Du? Dafür bist du doch viel zu weich. Du weißt ja gar nicht, wie es sich hier lebt.“
„Nun, dann werde ich es diesen Sommer eben lernen. Ich gedenke nämlich, ihn hier zu verbringen.“
„Du wirst hierbleiben?“
„Was hast du erwartet? Dass wir uns einmal ansehen, wie du hier lebst, um dann wieder wegzufahren und dich in dieser Situation alleine lassen?“
„Ich brauche eure Fürsorge nicht.“
Tessa überlegte lange, wie sie es formulieren sollte. „Vielleicht nicht, aber du könntest etwas Gesellschaft brauchen, nicht wahr, Gram? Und es gibt hier viel zu tun. Mehr, als eine Person allein schaffen kann.“
Helen schwieg, so dass Tessa Angst bekam, sie würde gar nicht darauf antworten. Dann seufzte die alte Frau: „Ich weiß gar nicht, wie das passieren konnte.“
Tessa spürte, wie Mitleid sie erfasste und ihre Abwehr überwand, die sie seit ihrer Ankunft so sorgsam aufgebaut hatte, weil sie entschlossen war, nichts an sich heranzulassen. Sie verstand nur zu gut, was ihre Großmutter ihr sagen wollte. Tessa hatte selbst mit angesehen, wie ihr eigenes Leben außer Kontrolle geraten war, und genau wie Helen schien sie nicht die Kraft zu haben, die Entwicklung aufzuhalten.
Zu dem Zeitpunkt, als sie angefangen hatten, die alten Zeitungen, Zeitschriften und Pappkartons aus dem Erdgeschoss zu schaffen, war die Sonne schon hinter dem Horizont verschwunden. Jede Bewegung fiel ihnen jetzt ein wenig leichter, da alle Fenster offen waren und sie dort, wo schon Platz war, Ventilatoren aufgestellt hatten und so die Temperatur fast erträglich wurde.
Nancy hielt die Hände über den Kopf und reckte sich.„Ich brauche eine Dusche. Viel dringender noch brauche ich einen Drink und etwas zu essen, obwohl es gleich eh Zeit für das Abendessen ist.“
Tessa ging es ähnlich, aber sie befürchtete, dass es nicht allzu gut um die Wasservorräte stand. Wenn schon der Teich nahe dran war, auszutrocknen, wie viel Wasser mochte im Brunnen sein?
Sie hatte einen Monat, wahrscheinlich eher zwei Monate vor sich, in denen es weder eine Klimaanlage noch einen ausreichenden Wasservorrat geben würde, um ein anständiges Bad zu nehmen. Einen Sommer mit drei Frauen, die außer einiger Gene nicht viel gemeinsam hatten.
„Warum machst du nicht hier weiter, und ich schaue mal, wie es mit dem Abendbrot aussieht. Ich glaube, ich komme an den Herd und wenigstens an einen der Schränke“, sagte Tessa.
Nancy streckte sich weiter. „Ich habe einige Lebensmittel mitgebracht. Sie stehen auf dem Tisch. Gott sei Dank nichts, was schlecht werden kann, nur einige Dosen und Packungen, ein bisschen Obst und Brot. Ich hatte ja keine Ahnung, was uns hier erwartet. Ich habe Angst, in den Kühlschrank zu schauen.“
Für Tessa war ihre Mutter eine interessante Kombination aus Armeegeneral und Puderquaste. Auf ihre eigene, beschränkte Weise war Nancy genial. Niemand konnte so wie sie ein Kaffeekränzchen oder ein großes Abendessen organisieren. Keiner war so wie sie in der Lage, die oberen Zehntausend aus Richmond zu bezirzen. Sie duzte die meisten Beamten aus der Landesregierung und kannte die präzisen Details über Herkunft, finanzielle Situation und politische Verstrickungen jeder einzelnen einflussreichen Familie. Praktische Dinge jedoch, wie ein aufgeschrammtes Knie, die Suche nach dem Sicherungskasten oder das Teilen eines Liters in Zentiliter,schienen sie zu überfordern. Soviel Tessa wusste, kochte Nancy niemals. Sarah, Nancys Haushaltshilfe, bereitete
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