Sommer der Entscheidung
die alten Sachen hinaus, sie schleppt sie wieder herein. Es herrschen hier 40 °C, mindestens. Die Fliegengitter müssen repariert werden, denn abends sehnen sich die Moskitos nach einem guten Tropfen und einer Party.“ Sie schlug zur Betonung auf ihren Unterarm. „Sie ist völlig verrückt geworden, und wenn wir mit ihr diskutieren, machen wir es nur noch schlimmer.“
Tessa reichte ihrer Mutter das Weinglas. „Und was schlägst du vor?“
Sie starrten einander an. Nancy hob das Glas wie zu einem Trinkspruch, aber sie sagte nichts. Tessa stieß wortlos mit ihr an. Sie tranken, ohne zu reden, und schlugen lethargisch auf die Moskitos ein, während sie dem Zirpen der Grillen lauschten, das durch die klaffenden Löcher der Fliegengitter zu ihnen drang.
Dieses E-Book wurde von "Lehmanns Media GmbH" generiert. ©2012
3. KAPITEL
A m Mittwochmorgen wachte Tessa auf, als die ersten Sonnenstrahlen durch das Fenster drangen. Am Tag zuvor hatte sie die alten, staubigen Vorhänge abgenommen und die meisten Stapel und Kartons aus ihrem Zimmer entfernt. Sie und Nancy waren beim Frühstück übereingekommen, wenn sie weiterhin im Haus übernachten wollten, mussten sie erst einmal ihre Zimmer bewohnbar machen.
„Als ich endlich eingeschlafen war, habe ich geträumt, dass ich eine unbekannte Straße entlanggehe, und Dinge fingen an, vom Himmel herunterzufallen. Ich bin aufgewacht, und überall um mein Bett herum waren diese Bücherstapel. Ich lag mit offenen Augen da und habe darauf gewartet, dass sie auch auf mich herunterfallen würden.“
Tessas Träume waren auch nicht viel besser gewesen, bis auf die Tatsache, dass ihr Albtraum immer der gleiche war, egal, wo sie schlief.
Am Dienstag waren sie hauptsächlich damit beschäftigt, ihre Zimmer aufzuräumen und die Gegenstände, die dort lagerten, wegzuwerfen. Helen hatte sich in ihrem Raum verkrochen und weigerte sich, auch nur zu den Mahlzeiten herunterzukommen. In gewisser Weise war es gut, dass sie nicht da war. Denn solange sie oben in ihrem Zimmer blieb, konnte sie ihre Drohung nicht wahr machen und den Abfall zurück ins Haus bringen, den Tessa und Nancy bereits entsorgt hatten. Sie sprach nicht mit Tessa, wenn sie ihr Essen und etwas zu trinken brachte. Sie saß an ihrem Fenster und nähte.
An diesem Morgen konnte Tessa hören, wie ihre Großmutter im Raum nebenan umherging. Tessa wusste, dass die Waffenruhe – der Begriff war eigentlich ein Euphemismus – nicht lange währen würde. Irgendwann würde ihre Groß-mutternach draußen gehen und sehen, was sie alles fortgeschafft hatten. Helen würde an die Decke gehen.
Tessa richtete sich im Bett auf und umfasste ihre Knie. Das alte Stoneburner Haus war in gewissem Sinne auch das Haus, in dem sie aufgewachsen war, aber nun fühlte sie sich fremd. Als kleines Mädchen war sie während der Sommerferien nie zu ihrer Großmutter gefahren oder hatte überhaupt mal hier übernachtet. Sie war mit ihren Eltern immer nur für kurze, absolut notwendige Besuche herkommen, dennoch hatte Helen ihr immer Angst eingejagt. Ihre Großmutter hatte eine laute Stimme und war ihr damals riesig erschienen. Sollte sie Kinder gemocht haben, hatte sie es nie gezeigt. In Helens Haus gab es keine überquellenden Keksdosen, keine Bilderbücher, die man sich zusammen anschauen konnte, oder verwöhnte Haustiere, die Tessa hätte knuddeln können. Tessa sollte hinausgehen und spielen, aber der große Garten hatte sie eingeschüchtert. Als sie ein Teenager war, hatte sie sich Ausreden einfallen lassen, um nicht mit ihren Eltern mitfahren zu müssen, wenn es mal wieder an der Zeit war, die Großmutter zu besuchen.
In diesem Gebäude fühlte sie sich nicht zu Hause. Irgendwann würde es ihr gehören, nahm sie an. Wenn Helen starb, würde die Farm möglicherweise direkt ihr zufallen und nicht Nancy, denn ihre Mutter hatte schon deutlich gemacht, wie wenig sie das Land mochte, insbesondere die Landschaft in Virginia. Aber es würde Tessa Schwierigkeiten bereiten, das Grundstück zu verkaufen, wenn es so weit wäre.
Nebenan murmelte Helen etwas. Tessa schwang ihre Füße aus dem Bett und zog die Sachen an, die sie sich am Abend zuvor herausgelegt hatte. Unglücklicherweise hatte sie keine große Auswahl. Aus Versehen hatte sie den Koffer mit den meisten Kleidern zu Hause vergessen. Somit musste sie an diesem Nachmittag zurück nach Fairfax fahren, um siezu holen, wenn sie nicht jeden Abend dieselben zwei Outfits per Hand waschen wollte. Auch wenn
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