Sommer der Entscheidung
Hitzschlag eingegangen bist, damit ich dich vom Fußboden aufsammele.“
„Wage es nicht, in meiner Gegenwart zu fluchen.“
Nancy küsste ihre Mutter auf die Wange. „Es ist so heiß, dass man fluchen muss, Mama. Verdammt heiß. Verflucht heiß. Du musst die Klimaanlage ja nicht anschalten. Niemand wird jemals erfahren, ob du sie laufen lässt oder nicht.“
„Ich bin mein ganzes Leben lang ohne so etwas ausgekommen.“
„Mama, du willst doch dieses Haus für die Familie erhalten, oder?“
Helen zog ein komisches Gesicht, das sie aussehen ließ wie die böse Hexe aus einem Märchen. „Was hat das denn damit zu tun?“
„Glaubst du wirklich, wir würden dich noch einmal im Sommer besuchen kommen, wenn du keine Klimaanlage im Haus hast?“
„Ich erwarte von euch nicht, dass ihr noch einmal herkommt. Du verkaufst das Haus doch sowieso.“ Helen schnippte mit den Fingern, um zu zeigen, wie schnell das gehen würde.
„Nein.“ Nancy strich sich mit der Hand die Haare aus dem Nacken, die der Friseur noch übrig gelassen hatte, und fächelte sich Wind zu. „Wenn du es mir vererbst, werde ich die Farm behalten. Ich habe mich entschieden. Ich brauche etwas außerhalb der Stadt, wohin ich mich zurückziehen kann und das mir ganz allein gehört. Wer weiß, vielleicht ziehe ich irgendwann einmal hierher. Und Tessa wird auch eine Rückzugsmöglichkeit brauchen. Sie ist Lehrerin. Sie braucht einen Ort, an dem sie sich von der Schule im Sommer erholen kann. Das Haus sollte schon in der Familie bleiben.“
Tessa war ebenso überrascht wie ihre Großmutter. „Ich dachte, du könntest es nicht erwarten, die Farm loszuwerden.“
„Schon wieder falsch, und anscheinend werden deine falschen Annahmen zur Gewohnheit.“
„Ich werde dieses blöde Ding nicht anschalten“, warnte Helen, „aber ich nehme an, dass du eine Klimaanlage einbauen lassen kannst, wenn es dich glücklich macht.“
„Es ist ja nur für die heißesten Tage“, sagte Nancy und bemühte sich, nicht zu lächeln. Es gelang ihr nicht.
Die drei Frauen saßen für eine Weile still beieinander. Tessa sah neugierig einem Kleinbus entgegen, der die Straße entlang auf das Haus zufuhr. In der Stadt wäre ihr solch ein Wagen nie aufgefallen, aber hier auf dem Lande zog er die Aufmerksamkeit auf sich.
„Diesen Bus habe ich noch nie hier gesehen“, sagte Nancy, die sich auch schon in dieser Hinsicht auf das Landleben eingestellt hatte.
„Er wird langsamer.“ Tessa hielt ihre Hand über die Augen,um sie vor der Sonne zu schützen. „Vielleicht hat sich jemand verfahren.“
Der Kleinbus bog langsam und vorsichtig auf die Auffahrt ein, und die Fahrertür wurde geöffnet. Eine Frau stieg aus, ging um das Auto herum und öffnete die Schiebetür auf der Beifahrerseite.
Ein altenglischer Schäferhund sprang aus dem Wagen und lief auf die Veranda zu. Tessa kannte ihn.
Sie stand auf und sah Biscuit zu, wie sie mit wehendem, zotteligem Haar die Stufen hinauflief und an ihr hochsprang, ihre Pfoten auf Tessas Schultern. Fast hätte der Hund sie umgestoßen.
„Biscuit!“ Tessa drückte ihr Gesicht für eine Sekunde gegen das Fell des Hundes, bevor sie ihn von ihren Schultern herunterstieß. Biscuit ging los, um die anderen beiden Frauen zu beschnüffeln, kehrte aber sofort zu Tessa zurück, um noch einmal an ihr hochzuspringen und ihr Gesicht begeistert zu lecken.
Tessa schaffte es, das Tier ein wenig zu beruhigen, während die Frau aus dem Auto auf das Haus zukam. Sie trug eine große Tüte mit Hundefutter.
„Bonnie? Wie um Himmels willen hast du mich hier gefunden?“
„Mack hat mir den Weg erklärt.“ Bonnie Hitchcock war von kleiner, muskulöser Statur und hatte kurz geschnittene schwarze Haare. Sie stellte das Futter ab, bevor sie Tessa in der Hoffnung ansah, ihre Reaktion an ihrem Gesicht ablesen zu können. „Mack hat dir nicht Bescheid gesagt, dass ich komme, nicht wahr?“
Nancy stand auf. „Er hat es ihr nicht gesagt, aber ich wusste es.“
Tessa sah ihre Mutter an. „Hast du vergessen, es mir auszurichten?“
„Nein, ich habe es lieber gelassen.“
Tessa kannte Bonnie schon seit vielen Jahren. Ihr Sohn Danny war Kayleys bester Freund in der Vorschule gewesen. „Wie geht’s?“
Bonnie sah zunehmend unsicher aus. „Ich dachte, Mack hätte es dir erzählt. Wir können Biscuit nicht länger bei uns behalten, Tessa. Danny hat Asthma bekommen, und darüber hinaus ist er gegen Tierfell allergisch.“ Sie zögerte. „Und es hat nie
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