Sommer der Entscheidung
ich so aus, als würde ich mir jetzt einen Anwalt suchen, um die Scheidung einzureichen?“
„Dann habt ihr beiden euch vertragen?“
Nancy nahm die Tüte in die andere Hand. „Wir verstehen uns jetzt besser. Wir lieben uns, aber es gibt eine ganze Menge, über das wir in den letzten Jahren nicht gesprochen haben, weil wir Angst davor hatten. Keiner von uns hat je gelernt, über seine Gefühle zu sprechen. Das haben uns unsere Mütter nicht beigebracht.“
Tessa fühlte grenzenlose Erleichterung. „Und ihr redet jetzt miteinander?“
„Es ist höchste Zeit, findest du nicht auch?“
Tessa sagte nichts, obwohl es offensichtlich war, dass sie noch weitere Fragen hatte. Aber Nancy schien diese Fragen dennoch gehört zu haben. „Du wunderst dich bestimmt, wieso wir so lange miteinander verheiratet gewesen sein konnten, ohne wirklich miteinander kommuniziert zu haben, was? Du wunderst dich, warum wir uns so viel Gemeinsamkeit und Freude haben entgehen lassen konnten, weil keiner von uns beiden darüber reden konnte, was wir füreinander empfinden.“
„Es kam mir in den Sinn.“
„Es sollte dir auch in den Sinn kommen. Ich denke, es könnte dir bekannt vorkommen, Tessa.“
Helen konnte nicht glauben, was sie sah. Einen Moment lang starrte sie auf die Beilage des Kirchenrundbriefes und hoffte, dass sie dringend eine neue Brille brauchte, früher, als sie bisher befürchtet hatte. Der Rundbrief war gestern angekommen, aber sie hatte ihn erst jetzt geöffnet, um zu sehen, worüber dieser radikale junge Pastor in der Morgenpredigt sprechen wollte. Sie überlegte, zum Abendgottesdienst zu gehen. Aber auch wenn sie die Augen zusammenkniff, standen immer noch die gleichen Worte da.
Quilt-Ausstellung? Sie wollten ihre Quilts ausstellen, und niemand hatte es für nötig gehalten, ihr Bescheid zu sagen?
Nancy und Tessa lebten unter ihrem Dach, atmeten dieselbe Luft, tranken ihr Wasser, aßen ihre besten Marmeladen, ganz zu schweigen von ihrem Erdbeerkuchen und der Brombeertorte, und sie hatten es ihr noch nicht einmal im Vorbeigehen gesagt?
Aber natürlich hatten sie ihr nichts davon erzählt! Sie waren die Drahtzieher! Helen spürte, dass Nancy dahinterstecken musste. Nancy, die mit ihrem Leben nie zufrieden war.
Nancy, die wollte, dass ihre Mutter mehr war, als sie nun einmal war. Nancy, die vorgab, dass Helen so eine etepetete Künstlerin war und nicht eine einfache Frau vom Lande, die schlicht nur nähte, weil sie in ihrem Alter nichts anderes zu tun hatte.
Nancy!
„Mrs. Henry?“
Sie war sich einen Augenblick lang nicht sicher, ob sie tatsächlich ihren Namen hörte. Sie war so wütend, dass sie das Gefühl hatte, die Worte würden wie unter Wasser zu ihr vordringen. Doch dann rief jemand noch einmal nach ihr, und sie bemerkte Cissy, die vor der Fliegengittertür stand.
„Was stehst du da einfach so herum, komm herein“, bellte Helen.
Cissy schlüpfte hinein. „Ich kann wiederkommen.“
„Was willst du?“
Cissy hielt einen Stoffbeutel in der Hand. Helen erkannte, dass es derjenige war, den sie Cissy geschenkt hatte, damit das Mädchen ihre Quilting-Utensilien darin aufbewahren konnte.
„Sie sagten, ich sollte heute früh herkommen, erinnern Sie sich?“, fragte Cissy. „Ich habe jetzt alle einzelnen Teile zusammengenäht. Sie wollten mir heute zeigen, wie man sie quiltet.“
„Du willst nicht lernen, wie man quiltet, Mädchen. Denn weißt du, was sie dir antun, wenn du quilten lernst? Das hier!“ Sie warf die Broschüre Cissy vor die Füße.
Cissy hob sie auf und sah sich kurz die Beilage an. „Oh.“
„Du wusstest davon, nicht wahr?“
„Ich habe das komische Gefühl, dass, wenn ich jetzt Ja sage, Sie mich hinauswerfen werden.“
Helen war kurz davor gewesen, etwas noch Gemeineres zu sagen, aber Cissys Antwort ließ sie verstummen.
„Ich wusste davon“, gab Cissy zu. „Ich glaube, es ist die netteste Geste, von der ich jemals gehört habe. Sie haben sich so viel Mühe mit der Ausstellung gegeben, und sie sind noch dabei. Mrs. Whitlock war jede freie Minute drüben in der Kirche, und eine ganze Menge Leute helfen ihr bei den Vorbereitungen. Zekes Mom macht hundert von ihren besten Biskuits für das Kuchenbüfett, und ich mache Zitronenschnitten. Und sie werden die Kollekte für Frauen in Indien spenden, damit sie dort Quilts nähen können, um damit ihre Familien zu ernähren. Wissen Sie, nicht diese Decken, wo die Näherinnen nur ganz wenig Geld für ihre Arbeit bekommen,
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