Sommer der Entscheidung
taten ihr weh, aber sie verdiente sie. Wenigstens zum Teil. Aber dennoch hatte er einen Aspekt nicht erwähnt, den wichtigsten.
„ Dich wollte ich nicht verlieren“, betonte sie. „Das Leben in Richmond spielte keine so wichtige Rolle. Ich war schon mit den Krümeln zufrieden, die du mir hingeworfen hast, weil ich dachte, ich hätte nicht mehr verdient. Aber jetzt sehe ich das anders.“
„Das hört sich wie eine Ankündigung an.“
„Vielleicht eher wie ein Flehen. Das hier ist ein wichtiger Schritt für mich, Billy.“
„Warum hast du Angst, mich zu verlieren? Wegen des,was ich repräsentiere? Weil ich der Vater von Tessa bin? Weil sich in Richmond alle möglichen Türen öffnen, wenn du sagst, du seiest mit einem Whitlock verheiratet?“
Sie waren um die Wahrheit herumgeschlichen. Sie konnte ihre wahren Gefühle ebenso wenig preisgeben wie Billy. Dieser Gedanke machte sie noch trauriger. Sie waren zwei Menschen, die seit so vielen Jahrzehnten verheiratet waren, und dennoch gelang es ihnen nicht, sich aufrichtig ihre Gefühle zu gestehen.
Es war so weit. Sie wusste, dass die Zeit reif war, aber es war das Schwierigste, das sie jemals zu einem Menschen gesagt hatte.
„Ich hatte diese Fantasie, dass du eines Tages eine Ahnung davon bekommen würdest, was ich für dich empfinde, und dass es dir nur in einem winzigen Ausmaß auch so gehen würde. Das wäre schon viel für mich gewesen. Ich liebe dich, aber ich kann mit diesem Traum nicht länger leben. Ich schäme mich dafür, dass ich so unterwürfig gewesen bin, denn ich habe Besseres verdient.“
Er ließ seine Schultern nach vorn fallen. Billy, dessen Körperhaltung immer so aufrecht war, dass er größer zu sein schien, als er war. „Ich dachte, du würdest mich um die Scheidung bitten.“
„So weit könnte es kommen.“ Sie machte eine Pause, weil er den Kopf schüttelte. „Ist es nicht so?“
Er lächelte sein wärmstes Lächeln; dann streckte er seine Hand aus, um ihre Wange zu berühren. „Nancy, ich werde mich nicht von dir scheiden lassen. Du willst das nicht. Ich will das nicht. Wir hatten genug Zeit, um uns das zu überlegen, und ganz tief in unserem Innersten wissen wir auch, dass ich recht habe. Deswegen können wir uns jetzt darüber unterhalten. Endlich.“
Sie hatte all ihren Mut zusammengenommen, um ihm dieszu sagen. Nun schienen ihre Worte, durch seine Wärme widerlegt, besonders grausam. Dennoch konnte sie sich nicht von seiner Berührung lösen.
„Ich liebe dich auch“, sagte er. „Vielleicht nicht zu Anfang, obwohl ich mir da inzwischen nicht mehr sicher bin. Du warst so anders als die Frauen, die ich bis dahin kannte. Du warst unsicher, das schon. Eitel, manchmal auch albern, du hast immer versucht mehr zu sein, als du schon warst …“
Sie öffnete ihre verdächtig feuchten Augen und starrte ihn an. „Das hört sich nicht nach Liebe an.“
„Aber auch warmherzig, immer loyal, so klug und auffassungsfähig, wenn es nicht um dich ging.“
„Und wie auffassungsfähig warst du ? Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass ich ab und zu gern gehört hätte, dass du mich liebst? Wenn du es denn wirklich getan hättest?“
„Ich habe dich geliebt. Ich liebe dich. Ich werde dich lieben. Aber ehrlich gesagt, ich war mir nicht absolut sicher, wie deine Gefühle mir gegenüber waren. Du hast recht, du hast mich geheiratet, weil du musstest. Ich wusste, dass ich für dich Sicherheit bedeutete, dann gab es Tessa. Wir schienen nie in der Lage zu sein, über wichtige Themen wie unsere Gefühle zu sprechen. Ich wusste nicht, wie ich danach fragen sollte. Wie fragt man danach?“
Seine Hand streichelte ihre Haare und wanderte bis zu ihrem Nacken. „Aber es war auch mehr als das. Ich dachte einfach, so, wie ich fühlte, musste es sein, es war selbstverständlich. Es hat mich diesen Sommer, in dem ich einsam war, gekostet, um darüber nachzudenken. Deswegen bin ich so lange fortgeblieben. Ich brauchte Zeit, um herauszufinden, wie ich den Rest unseres Lebens gemeinsam mit dir verbringen möchte. Und nun werde ich, so wie es aussieht, noch mehr Zeit brauchen, um zu ergründen, was die neue Nancy bedeutet.“
„Sie ist nicht neu. So bin ich einfach. Ich steige nur gerade durch die Schichten hindurch dahin, wo mein wirkliches Inneres verborgen liegt.“
„Diese Schichten liebe ich auch. Aber vielleicht liebe ich sie nicht so sehr, wie ich die Frau liebe, die vor all diesen Jahren die Tomate nach mir geworfen hat.“
Nancy bemerkte
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