Sommer der Entscheidung
verborgen waren. Sie sahen aus wie die großen alten Schrankkoffer, die man auf Flohmärkten findet und die später im Wohnzimmer als Beistelltische dienen. Diese hier waren nicht ganz so schön. Das Leder war aufgesprungen und an einigen Stellen abgewetzt. Aber die Truhen sahen nochstabil aus. Sie bahnte sich einen Weg zu ihnen, indem sie weitere Kisten zur Seite schob. In der ersten Truhe waren Schulhefte. Es gab verschiedene Stapel, und ganz oben lagen die Hefte von ihrer Mutter.
In der zweiten fand sie Herrenkleidung. Erst als sie das Papier, das oben auf dem Stapel lag, überflog, begriff sie, wem sie einmal gehört hatte. Es war das Beileidsschreiben der U.S. Navy zum Tod von Fayette Henry. Sie ließ ihre Hand über eine Seglermütze vom Dixie Cup gleiten. Über all die Jahre hatte ihre Großmutter die Sachen ihres Ehemanns aufbewahrt. Die beiden hatten nur wenig Zeit miteinander gehabt, und Helens Schmerz war immer noch nicht gelindert. Jedenfalls nicht völlig.
Obgleich es hier oben heiß war, fröstelte Tessa. Sie schloss den Deckel und öffnete schnell die dritte Truhe. Sie schien nichts als vergilbtes Zeitungspapier zu enthalten. Bei näherem Hinsehen stellte sich jedoch heraus, dass es sich um Schnittmusterbögen für Quilts handelte, die vorsichtig ausgeschnitten und aufbewahrt worden waren. Einige Muster waren auf dünne Pappe geklebt. Sie drehte das Stück um: Es war der Rücken einer Cornflakes-Packung. Mit Weizenkleie, riet Tessa, obwohl sie nur eine kleine Ecke der Schrift entziffern konnte.
Die nächste Schicht in der Truhe bestand aus drei Quiltoberdecken, die noch nicht fertig gestellt waren. Alle bestanden aus Stoffresten und waren nicht annähernd so schön wie die Decken, die Nancy ihr gezeigt hatte.
Zuunterst lag der Wedding-Ring-Quilt, ordentlich gefaltet unter einem weißen Stück Tuch.
Tessa hob ihn vorsichtig an. Ihre Aufregung stieg, als sie ihn aus der Truhe herauszog. Sie hatte gehofft, dass Helen den Quilt irgendwo hingelegt hatte, wo er geschützt war, aber sie war überrascht, wie richtig sie mit ihrer Vermutunglag und dass sie ihn so schnell gefunden hatte. Es war ihr Quilt. Sie hätte ihn unter Hunderten wiedererkannt.
Helen gewöhnte sich allmählich daran, dass jemand für sie kochte. Und obwohl sie es ihrer Tochter oder Enkelin gegenüber nie zugegeben hätte, freute sie sich jeden Tag darauf, was sie ihr wohl heute kredenzen würden. Nancy konnte nicht richtig kochen, aber sie konnte Salat machen. Natürlich nicht so, wie Helen es ihr beigebracht hatte, aber mit ungewöhnlichen Zutaten, an die sich Helen mit alarmierender Geschwindigkeit gewöhnte. Eingelegte Artischockenherzen. Maiskolben, die die Größe eines kleinen Fingers hatten. Avocados und Bohnensprossen. Obwohl, wer wäre so dumm und brächte Bohnen zum Sprießen und würde sie dann essen, bevor sie weitere Bohnen hervorbrächten? Nun denn, das war zu dumm.
Heute allerdings vertrieb Helen sie aus der Küche und kochte selbst ein richtiges Essen: Landschinken, Erbsen, Süßkartoffeln, so, wie sie es von ihrer Mutter gelernt hatte, als die Zeiten noch besser waren. Und dann gab es noch einen selbst gemachten Blueberry Pie. Sie schuldete Nancy ja noch einen halben Blaubeerkuchen, da sie einen halben Quilt genäht hatte. Und weil es relativ schwierig war, einen halben Kuchen zu backen, entschied sie sich für einen ganzen. Sie würde die Hälfte allein essen, nur um ihnen zu zeigen, wo es langging.
Die Küche sah aus, als gehöre sie nicht mehr ihr. Sie fand sich gar nicht mehr zurecht, obwohl sie in Wahrheit seit Monaten in ihrer eigenen Küche nichts mehr hatte finden können. Jedenfalls war es jetzt leichter, etwas zu suchen, und so, wie Nancy die Löffel, Töpfe und Pfannen organisiert hatte, ergab es eine Art Sinn. Sie würde ihre alte Ordnung selbstverständlich wiederherstellen, wenn die beiden erst einmalweg waren. Aber für heute war sie zumindest in der Lage zu kochen.
Als Nancy und Tessa zum Essen kamen, war Helen müde, aber stolz. Vielleicht war sie alt, aber sie konnte immer noch eine anständige Mahlzeit zubereiten. Sie wartete darauf, dass Nancy einen Vortrag über Cholesterin und Fettprozente halten würde, aber beide Frauen strahlten über das ganze Gesicht, als sie den gedeckten Tisch sahen, der von Tellern und Schüsseln überquoll.
„Ich wäre fast verhungert“, sagte Tessa, „und das sieht sehr gut aus, Gram.“
„Manchmal träume ich nachts von solch einem Essen und wache davon
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