Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sommer der Entscheidung

Sommer der Entscheidung

Titel: Sommer der Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emilie Richards
Vom Netzwerk:
ergründen.
    „Tessa?“
    Tessa zuckte mit den Schultern. „Ich finde, sie hält sich erstaunlich gut. Sie hat uns nicht hinausgeworfen. Sie hat nicht mehr als ein oder zwei Sachen, die wir weggeworfen haben, aus dem Anhänger geholt und zurückgebracht.“ Sie überlegte, was sie sonst noch aufzählen könnte, und hob noch einmal die Schultern, als ihr nichts mehr einfiel.
    „Gestern Abend, Tessa. Kannst du dich erinnern?“
    „Gestern Abend war es nett.“ Sie zog ein Kissen hinter ihrem Rücken hervor, schlang ihre Arme darum und lehnte sich ein Stückchen vor. „Früher wollte ich alles über die Familie erfahren, damit ich die alten Geschichten Kayley erzählen …“ Sie sah weg. „Es hat mich gestört, dass ich so wenig von der Familie wusste. Aber immer wenn ich nachgefragt habe, bekam ich nur die kalte Schulter. Ich hatte sogar vergessen, dass Gram Brüder hatte.“
    „Deine Großmutter hat nie etwas erzählen wollen …“
    „Es lag nicht allein an Gram“, sagte Tessa. „Es lag auch an dir . Eigentlich lag es meistens an dir. Du wolltest einfach nicht über deine Familie reden.“
    Nancy richtete sich auf. „Was wusste ich schon? Diese Geschichte hatte sie mir nie erzählt. Außerdem kennst du hundert Geschichten von Daddys Familie. Das sollte dir genügen.“
    „Ehrlich? Irgendwann fing mich der Bürgerkrieg an zu langweilen und auch die Geschichten, wie schön das Leben war, als die Whitlocks noch eine Tabakplantage am James River besaßen.“
    „Und vergiss nicht, dass die Sklaven niemals Angst haben mussten, dass sie den Fluss hinunter verkauft wurden, weil die Whitlocks das nie getan hätten.“
    Tessa lächelte Nancy an. Und ihre Mutter lächelte zurück.
    „Das hast du ihnen auch nicht abgekauft, hm?“, fragte Tessa.
    „Nein. Genauso wenig wie die Geschichte, dass die Sklaven, die auf den Feldern arbeiteten, etwas Furchtbares taten, als Abenteurer sie nach dem Krieg von der Plantage vertrieben.“ Nancy wurde sachlich. „Nein. Tut mir leid, das habe ich ihnen auch nicht geglaubt. Aber deine Großmutter Whitlock war ein guter Mensch.“ Nach einer kleinen Pause sprach sie weiter. „Mehr oder weniger, jedenfalls“, fügte sie wesentlich leiser hinzu.
    Solange sie sich erinnern konnte, hatte Tessa nie Kritik an ihrer Großmutter gehört. „Es war eine revisionistische Geschichte, so wie sie und viele andere Menschen sich wünschten, dass der Süden gewesen wäre. Ich habe sie ihr nie abgenommen. Aber es ist komisch, dass ich glaubte, du hättest diese Geschichten geliebt.“
    „Es wäre doch möglich, dass du mich nicht so gut kennst, wie du glaubst.“
    Tessa ließ sich das noch einmal durch den Kopf gehen. Sie und ihre Mutter sprachen in der letzten Zeit häufiger über dieses Thema.
    Nancy richtete sich ein wenig auf. „Ist ja auch egal. Da du nicht weißt, warum du dir Sorgen um deine Großmutter machen solltest, werde ich es dir einfach sagen. Sie hat sich sehr verändert. Geschichten zu erzählen, Kuchen zu backen und Hühnchen für uns zu grillen, haben früher nicht zu ihrer Art gehört, wie sie mit uns umging. Ich habe gehört, dass Menschen ihre weiche Seite zeigen, kurz bevor sie sterben.“ Sie hielt inne. „Ich glaube, ich kann sie noch nicht gehen lassen. Und, Tessa, das ist auch ein Thema, das wir bisher umgangen haben. Wir haben uns bisher keine Gedanken um ihre Gesundheit gemacht. Vielleicht hat sie das Haus so verfallen lassen, weil sie krank ist und es vielleicht noch nicht einmalselbst weiß. Vielleicht hat sie uns gestern die Geschichten erzählt, weil sie weiß, dass ihr Ende naht.“
    Diese Überlegungen war Tessa von ihrer Mutter gewohnt, und sie fühlte sich wieder auf sicherem Terrain. „Das ist aber ein ziemlich weit hergeholter Gedanke. Vielleicht ist Gram nur froh, dass wir hier sind.“
    Nancy fegte die Bemerkung mit einer Handbewegung fort. „Wann ist sie jemals glücklich gewesen? Es ist dann ein erfolgreicher Besuch, wenn sie uns nicht schon nach einer Stunde erzählt, dass sie uns satthat.“
    Tessa lachte. „Ich habe Appetit auf Waffeln. Das Waffeleisen hast du nicht weggeworfen, oder?“
    Nancy stand auf. „Du willst mich nicht ernst nehmen, oder?“
    „Ich werde auf Anzeichen achten, aber ich habe zum Beispiel auch festgestellt, dass sie genauso viel isst wie wir. Sie scheint nachts gut zu schlafen. Sie quiltet, was das Zeug hält. Sie wird nicht ewig leben, aber den heutigen Tag wird sie überstehen.“ Sie schlug ihre Decke zurück und

Weitere Kostenlose Bücher