Sommer der Entscheidung
berührte Helens Wange einen Moment lang mit dem Handrücken, bevor sie die anderenFrauen suchen ging.
Helen nahm Tücher und Hüte entgegen und stemmte die Babys auf ihre Hüften, wenn die Frauen ins Haus eintraten und ihre Garderobe ablegten. Sie war überrascht, dass fast alle ihr einen Beutel mit Stoffresten, wie Mavis ihn ihr gegeben hatte, mitbrachten.
„Dafür, dass du dich heute um die Kleinen kümmerst“, sagte eine der Nachbarinnen. „Deine Ma hat erzählt, dass du dich über so ein Geschenk freuen würdest.“
Helen war mehr als glücklich. Ihre Mutter hatte an sie gedacht und die anderen Frauen gebeten, dasselbe zu tun. Belohnungen waren im Haus der Stoneburners eine Seltenheit und wurden umso mehr geschätzt.
Es machte ihr nichts aus, hart zu arbeiten, aber sie hasste es, auf die Kinder aufpassen zu müssen. Eigentlich wollte sie lieber draußen sein und Männerarbeit machen oder drinnen an der Nähmaschine ihrer Mutter Quilts nähen. Und vor allem wollte sie lieber am Quilt-Rahmen sitzen und ihre Nähnadel hin- und herführen, so, wie es ihre Mutter ihr beigebracht hatte, als sie erst acht Jahre alt war.
Die Frauen tranken Kaffee, den Delilah selbst geröstet und gemahlen hatte, und vertilgten einen großen Teil der drei Kuchen, die sie im Morgengrauen gebacken hatte. Die Kinder bekamen Brot und Marmelade und frische Milch.
Als Helen ihre Aufgaben erledigt hatte, saßen die Frauen alle um den Quilt-Rahmen herum. Es juckte sie in den Fingern, ihnen helfen zu dürfen, aber sie wusste, sie dürfte jetzt nicht zu früh danach fragen, wann sie endlich auch nähen dürfe. Zwei andere Mädchen halfen ihr dabei, mit den Jüngsten zu spielen, aber schon war eine Stunde vergangen, und die Babys wurden unruhig. Sie brachte sie ihren Müttern zum Stillen und legte sie danach im vorderen Schlafzimmer für einen Mittagsschlaf hin; dort konnte sie sie hören,wenn sie aufwachten und schrien.
„Ich habe eine Idee“, sagte Helen zu den anderen Mädchen.
Sie sollte noch auf vier Kinder aufpassen, während die Babys schliefen. Nach einer kurzen Vorbereitungszeit führte Helen sie alle in den Salon. „Sie wollen unter dem Quilt Murmeltier spielen.“
„Murmeltier spielen?“ Delilah sprach als Erste und guckte misstrauisch.
„Das ist die gemütliche Höhle vom Murmeltier. Sie werden leise darunter sein.“ Helen war sich ziemlich sicher, dass sie sich an die Absprache halten und still sein würden, weil alle Kinder schon recht müde aussahen. So nah bei ihren Müttern würden sie sich wahrscheinlich gleich zusammenkuscheln und einschlafen.
„Kriechst du mit ihnen darunter?“, fragte Delilah, „oder lässt du sie hier, damit wir auf sie aufpassen?“
„Ich krieche mit in die Höhle.“ Helen versuchte, unschuldig auszusehen. „Ich muss auf sie aufpassen, damit sie nichts kaputt machen.“
„Du kannst es ja versuchen.“ Delilah klang skeptisch. Helen war aufgeregt und freute sich. Unter der Decke zu hocken war natürlich nicht so gut wie mit einer Nadel daneben zu sitzen, aber wenigstens konnte sie so hören, worüber die Frauen sprachen. Sie führte die Kinder zwischen die Stühle und unter die Decke. Dann machte sie ihnen in der Mitte aus anderen Quilts, die sie mitgebracht hatte, ein Nest. Helen rollte sich neben einem der schlafenden Kinder zusammen und lauschte, was über ihr geredet wurde.
Eine Frau sprach, aber Helen war sich nicht sicher, wer es war. „Becky, Mavis kennt deine Geschichte noch nicht, die du von dem Jungen erzählt hast, der sonntags nicht in die Kirche gegangen war.“
Helen kannte die Geschichte auch noch nicht, und sie hoffte, dass Becky, die aussah wie eine Großmutter und eine Meile die Straße hinunter wohnte, sie erzählen würde.
„Die hast du noch nie gehört?“ Beckys Stimme war leichter zu erkennen.
„Ich erinnere mich nicht daran, dass ich sie schon einmal gehört hätte“, sagte Mavis. „Wenn du das dringende Bedürfnis hast, sie zu erzählen, habe ich ein dringendes Bedürfnis, sie zu hören.“
Die anderen Frauen lachten. Becky setzte nach: „Du wirst nie wieder den Gottesdienst schwänzen, nachdem du das gehört hast, das schwöre ich dir.“
„Ich kenne die Geschichte auch nicht“, sagte eine andere Stimme. Helen erkannte ihre Cousine Lenore Lichliter, die im Juni heiraten würde und dafür sorgte, dass jeder Mensch auf der ganzen Welt es erfuhr.
„Dann erzähle ich sie euch“, sagte Becky, „weil, wenn ihr die Geschichte nicht kennt,
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