Sommer der Liebe
Herrentoilette. Zum Glück hielt sich niemand darin auf. Warum war sie nicht gekennzeichnet? Wütend ging Sian wieder auf den Flur hinaus und stellte fest, dass die Tür durchaus gekennzeichnet war; Sian hatte nur nicht auf das Symbol geachtet. Gegenüber befand sich die Damentoilette. Sian überlegte. Sollte sie sich die Zeit nehmen, sich ein bisschen frisch zu machen? Sie war ohnehin spät dran, würden ein paar Minuten mehr da noch einen Unterschied machen? Sian war schon durch die Tür, bevor sie sich diese Frage beantwortet hatte.
In der Damentoilette hielt sich noch jemand auf. Eine junge Frau wusch sich gerade die Hände. »Oh, Gott sei Dank«, sagte Sian. »Ich bin zu spät für ein Meeting, und ich kann den Raum nicht finden. Sie wissen nicht vielleicht, wo es stattfindet?«
Die Frau ging zum Handtuchspender und zog ein Stück heraus, dann trocknete sie sich die Hände ab. Anschließend nahm sie sich Handcreme aus dem Spender. »Mit wem sind Sie denn verabredet?«
»Tja, das weiß ich nicht.« Sian schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln. »Ich begleite Angus Berresford. Wissen Sie vielleicht, wo er und die anderen sind?«
»Zufällig ja. Im Besprechungsraum am Ende des Flurs. Ich zeige es Ihnen.«
»Die Empfangsdame sagte, es wäre die dritte Tür auf der rechten Seite.«
»Das ist Edwards Büro, aber da ja auch der Agent an dem Meeting teilnimmt, außerdem Leute von der Herstellung und die Leiter der Marketingabteilung, war der Raum zu klein. Die Besprechung findet hier statt.« Sie zögerte. »Soll ich Sie kurz vorstellen?«
Sian dachte nach. »Ja, bitte. Ich bin Sian Bishop. Die Illustratorin«, fügte sie mit mehr Überzeugung hinzu, als sie empfand.
Die junge Frau klopfte und ging hinein. »Das hier ist Sian Bishop, die Illustratorin«, verkündete sie und ließ Sian ein.
»Tut mir leid, ich bin zu spät«, sagte Sian fröhlich. »Machen Sie einfach weiter. Ich kann sicher folgen.«
Alle im Raum starrten sie an, und die meisten schienen sich zu fragen, wer um Himmels willen sie war und was zur Hölle sie hier wollte. Sian wagte kaum, Gus anzusehen, während sie den Tisch umrundete. Zum Glück war da ein leerer Stuhl, auf den sie sich hastig setzte.
Gus starrte sie von der anderen Seite des Tisches an, wie Sian spürte. Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen.
Wenn sie gehofft hatte, nicht weiter aufzufallen, dann wurde sie enttäuscht. Das Meeting wurde unterbrochen.
»Entschuldigung?«, fragte ein jüngerer Mann in einem zerknitterten Leinenanzug. »Wer sind Sie?« Er lächelte Sian an, weil er offensichtlich nicht unhöflich sein wollte.
»Das ist Sian Bishop«, erklärte Gus mit fester Stimme. »Sie ist meine Illustratorin.«
»Beachten Sie mich gar nicht«, bat Sian, ermutigt von der Tatsache, dass Gus nicht leugnete, sie überhaupt zu kennen. »Ich mache mir nur ein paar Notizen. Fahren Sie einfach fort.«
Rascheln wurde laut, dann bemerkte der junge Mann: »Wie ich schon sagte, was dieses Buch braucht, sind totale Leidenschaft und Hingabe.« Er sah die Frau, die am Kopf des Tisches saß, nervös an.
Die Worte hingen schwer im Raum.
Gus starrte vor sich hin, wie Sian bei einem raschen Blick auf ihn bemerkte. Der Mann in dem Leinenanzug kritzelte etwas auf seinen Block, und alle anderen sahen verlegen und enttäuscht aus. Die Frau am Kopf des Tisches wirkte müde.
Sian musste etwas unternehmen. »Oh, die habe ich!«, rief sie und beschloss, einfach ins kalte Wasser zu springen. Sie hatte sich schon bei ihrer Ankunft bis auf die Knochen blamiert. Schlimmer konnte es nicht werden. »Absolut! Jede Menge Leidenschaft und Hingabe! Und ich weiß, dass dieses Buch ganz großartig werden wird! Weil Gus … ich meine, Mr. Berresford … wunderbar ist.« Sie lächelte Gus kurz an. »Er ist ein wunderbarer Schriftsteller, der sich in seinem Thema wirklich auskennt, und ein großartiger Kommunikator.«
»Das ist eigentlich mein Part«, sagte ein anderer Mann in einem gestreiften Hemd und einem Nadelstreifenanzug. »Ich bin sein Agent.« Doch er klang nicht beleidigt, ganz im Gegenteil.
»Aber ich hatte das Privileg, ihn in Aktion zu sehen«, fuhr Sian fort, als sie erkannte, dass niemand weiter darauf eingehen wollte. »Ich war natürlich nicht auf seinen Expeditionen dabei, doch ich habe gesehen, wie Mr. Berresford unterrichtet! Ich habe erlebt, wie er nicht nur die Aufmerksamkeit von kleinen Kindern, sondern auch die von Erwachsenen gewonnen hat, die sich eigentlich auf einer Party
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