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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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genug für so einen Ausflug ging, aber Dale hatte auch für sie eine Einladung mitgebracht, und sie erhörte Harlens Flehen.
    Dales Dad kam gegen zwei Uhr nach Hause, um halb vier brachen sie alle gemeinsam zur Farm auf, Harlen mit seinem sperrigen Gips saß neben seiner Mutter auf dem Rücksitz, zusammen mit Kev, während Mike und Dale und Lawrence sich hinten drängten. Sie waren bester Laune und sangen brüllend, als sie die Hügel hinauf und hinunter und am Friedhof vorbeifuhren.
    Onkel Henry und Tante Lena hatten Stühle im schattigen Teil des Gartens aufgestellt, und es wurde jede Menge begrüßt und geschnattert, während Biff, Onkel Henrys großer deutscher Schäferhund, in einer wahren Ekstase der Begrüßung herumsprang. Die Erwachsenen ließen sich auf den Adirondack-Stühlen mit ihren breiten Brettern nieder, während die Jungs Schaufeln aus der Scheune holten und zur hinteren Wiese aufbrachen. Sie gingen langsamer als sonst und machten Tore für Harlen auf, statt über Zäune zu klettern, so kam der verletzte Junge gut mit.
    Auf der hintersten Wiese vor dem Waldrand, unten am Bach, der von Süden verlief, fanden sie schließlich ihre Grabspuren vom vergangenen Sommer und fingen an, nach der Schmugglerhöhle zu graben.
    Die Schmugglerhöhle hatte als Legende angefangen, war zu einer Geschichte verfeinert worden, die Onkel Henry ihnen vor Jahren erzählt hatte, und war heute ein Evangelium für die Jungs. Anscheinend hatte der Vorbesitzer in den zwanziger Jahren, während der Prohibition und bevor Onkel Henry die Farm gekauft hatte, Schmugglern aus dem benachbarten County gestattet, eine alte Höhle auf dem Gut zu benützen, um ihre Ware zu lagern. Die Höhle war zu einem zentralen Warenlager geworden. Ein Feldweg wurde angelegt. Die Höhle wurde erweitert, der Zugang versteckt, eine richtige Flüsterkneipe unterirdisch angelegt.
    »Viele der großen Gangster haben hier haltgemacht, wenn sie von Chicago durchgefahren sind«, hatte Onkel Henry ihnen erzählt. »Ich würde auf einen Stapel Bibeln schwören, daß John Dillinger einmal hier war und drei Jungs von AI Capone runtergekommen sind, um Mickey Shaughnessy allezumachen... aber Mickey hat erfahren, daß sie kommen, und hat sich bei seiner Schwester drüben am Spoon River versteckt. Daher haben die drei Jungs von Capone den Laden mit Maschinenpistolen in Stücke geballert und einen Teil vom Fusel gestohlen.«
    Das Ende der Geschichte war der aufregendste Teil. Der Legende zufolge war die Schmugglerhöhle kurz vor Beendigung der Prohibition von der Finanzbehörde ausgehoben worden. Aber anstatt die Ware zu entfernen, hatten die Bundesagenten einfach den Eingang mit Dynamit gesprengt, so daß die Höhle über dem Alkoholvorrat, der Flüsterkneipe mit ihren Tischen und der Mahagonibar und dem Pianola und sogar über drei Lastwagen und einem Model A zusammengestürzt war, die im Lagerraum gestanden hatten. Dann hatten sie die Straße aufgerissen, damit niemand mehr die Höhle finden konnte.
    Dale und die anderen Jungs waren überzeugt, daß die Höhle selbst nicht eingestürzt war, nur der Eingang. Wahrscheinlich trennten nur anderthalb bis zwei Meter Erdaushub diesen archäologischen Fund von der Außenwelt. Wenn sie die richtige Stelle am Hang finden konnten und gruben...
    Onkel Henry war im Laufe der Jahre eine große Hilfe gewesen, hatte den Jungs alte Reifenspuren gezeigt und verrostetes Metall, das seinem Bekunden zufolge in der Nähe der Höhle zurückgelassen worden war, hatte auf Mulden im Hang hingewiesen, die möglicherweise der Eingang, zumindest aber Notausgänge gewesen sein konnten, und ihm waren auch immer wieder neue Einzelheiten der Geschichte eingefallen, wenn das Interesse der Jungs nach tagelangem Graben und Suchen in der heißen Sonne nachgelassen hatte.
    »Henry«, hatte Tante Lena einmal mit ungewöhnlich schneidender, warnender Stimme gesagt, »verdreh diesen Kindern nicht mit Ammenmärchen den Kopf.«
    Onkel Henry hatte sich aufgerichtet, den Pfriem Kautabak in die andere Wange geschoben und gesagt: »Das sind keine Ammenmärchen, Mutter. Die Höhle ist irgendwo da draußen.«
    Mehr hatten die Kinder nicht gebraucht. Im Lauf der Jahre sah Onkel Henrys Ostwiese - auf der ausschließlich der Stier weidete, wenn er einen hatte - wie die Berghänge um Sutter's Creek zirka 1849 aus, da Dale und Lawrence und ihre Freunde in jeder Mulde und Vertiefung und unter jedem grasbewachsenen Überhang gruben und überzeugt waren, daß sie diesmal

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