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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Schreckliches passiert. Er sah blinzelnd in das schattige Zimmer und spähte zum Nacht-tischlämpchen. Er konnte Bewegungen im Bett nebenan spüren und merkte, wie Lawrences warme Finger an seinem Pyjamaärmel zupften und fragten, was nicht in Ordnung war.
    Dale schlug die Decke zurück und fragte sich, was ihn geweckt hatte, während er in die Dunkelheit blinzelte.
    Dann erklang es wieder. Ein schrecklicher Laut, und tief, der in Dales Gehirn widerhallte. Er sah zu Lawrence und stellte fest, daß sein Bruder sich die Ohren zuhielt und mit großen Augen zu ihm herüberblickte.
    Er hörte es auch.
    Es ertönte wieder. Eine Glocke... lauter, tiefer, schrecklicher hallend als jede Kirchenglocke in Elm Ha-ven. Der erste Schlag hatte ihn geweckt. Der zweite verhallte in der schwülen Dunkelheit. Beim dritten zuckte Dale zusammen, hielt sich ebenfalls die Ohren zu und drückte sich ins Bettzeug, als könnte er sich vor dem Geräusch verstecken. Er rechnete damit, daß seine Mutter und sein Vater ins Zimmer gelaufen kommen würden, wartete auf Rufe der Nachbarn, aber außer der Glocke war kein Laut zu hören, keine Reaktion als, die, daß er und sein Bruder dem schrecklichen Laut entfliehen wollten.
    Die große Glocke schien bei ihnen im Zimmer zu sein, als sie vier schlug, und dann weiter - unbarmherzig -, Schlag für Schlag bis Mitternacht.

20
    Dale spielte am Samstagvormittag Baseball mit den Jungs, als er die Neuigkeit erfuhr. Chuck Sperling und einige seiner Freunde waren gerade mit ihren teuren Fahrrädern vorbeigefahren. »He, dein Freund Duane ist tot«, rief Sperling Dale zu, der auf dem Werferhügel stand. Dale sah ihn fassungslos an.
    »Du spinnst«, sagte Dale schließlich und spürte, wie trocken sein Mund plötzlich geworden war. Dann wurde ihm klar, wovon sie sprachen. »Du meinst Dua-nes Onkel, richtig?«
    »Nn-nnn«, sagte Sperling. »Nn-nnn, ich spreche nicht von seinem Onkel. Das war letzten Montag, oder? Ich spreche von Duane McBride. Der ist mausetot.«
    Dale machte den Mund auf, wußte aber nichts zu sagen. Er versuchte zu spucken. Sein Mund war zu trok-ken. »Verdammter Lügner«, brachte er heraus.
    »Nn-nnn«, sagte Digger Taylor, der Sohn des Bestattungsunternehmers. »Er lügt nicht.«
    Dale blinzelte und sah Sperling wieder an, als wäre der große Junge der einzige, der dem Scherz ein Ende machen konnte.
    »Ohne Scheiß«, sagte Sperling, warf den Ball in die Luft und fing ihn wieder auf. »Sie haben Diggers Dad heute morgen zu McBrides Farm geholt. Der Dicke ist in einen Mähdrescher geraten... Einen Mähdrescher, Herrgott noch mal. Sie haben über eine Stunde gebraucht, bis sie die Leichenteile aus den Messern und Zahnrädern und allem heraus hatten. Nur noch Hackfleisch. Dein Dad hat gesagt, sie können den Sarg unmöglich offen lassen bei der Beerdigung, oder etwa nicht, Digger?«
    Digger sagte nichts. Er sah Dale direkt an, aber in seinen hellgrauen Augen war nichts zu sehen. Chuck Sperling warf weiter den Ball in die Luft.
    »Nimm das zurück!« Dale hatte Handschuh und Ball fallengelassen und ging langsam auf den größeren Jungen zu.
    Sperling machte die Hand frei und runzelte die Stirn. »He, was ist denn mit dir los, Stewart? Ich hab' gedacht, dich interessiert, daß ...«
    »Nimm es zurück!« flüsterte Dale, wartete aber nicht auf eine Antwort. Er stürmte mit gesenktem Kopf los und warf sich auf Chuck Sperling. Sperling konnte die Arme hochreißen und Dale einen Schlag auf den Kopf verpassen, als Dale in Reichweite kam und anfing, auf ihn einzudre-schen. Er kickte Sperling in den Magen, hörte den Atem entweichen und konnte noch drei oder vier feste Schläge auf den Rippen landen, einen direkt über dem Herzen.
    Sperling wurde die Luft aus den Lungen gepreßt. Er sackte gegen den Drahtzaun. Als er die Arme senkte, schlug Dale ihm ins Gesicht. Beim zweiten Schlag floß Blut aus Sperlings Nase, beim dritten knirschten Zähne, aber Dale spürte keine Schmerzen, als die Haut von seinen Knöcheln geschürft wurde. Sperling klappte zusammen, wimmerte, schützte das Gesicht mit den Unterarmen und preßte die Hände auf den Kopf.
    Dale kickte ihn zweimal ganz fest in die Seite. Als Sperling die Arme sinken ließ, packte Dale ihn am Hals und drückte ihn gegen den Zaun. Er würgte ihn mit der linken Hand; die rechte war frei und schlug wieder zu, traf am Ohr, auf der Stirn, am Mund...
    Sehr weit entfernt ertönten Schreie. Hände zogen und zerrten an Dales T-Shirt. Er achtete nicht darauf.

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